Karlsruhe hat das Triage-Gesetz gestoppt: Nur drei Jahre nach Verabschiedung von Regeln zu medizinischen Notfällen müssen schon wieder neue her. Denn zuständig seien die Länder. Damit hat Deutschland eine neue Debatte.
Nach dem Nein des Bundesverfassungsgerichts zur Triage-Gesetzgebung über lebensrettende medizinische Maßnahmen wird über die Folgen debattiert. Das Gericht betone damit die ärztliche Therapiefreiheit und unterstreiche, dass medizinische Entscheidungen in Extremsituationen nicht durch bundesgesetzliche Vorgaben ersetzt werden dürften, erklärte Bundesärztekammerpräsident Klaus Reinhardt. “Der Beschluss stärkt die ärztliche Berufsausübungsfreiheit und stellt sicher, dass medizinische Entscheidungen auf Basis der medizinisch-fachlichen Beurteilung und der Situation der Patientinnen und Patienten getroffen werden können.”
Hingegen fordert die Deutsche Stiftung Patientenschutz eine Änderung des Grundgesetzes. “Wenn der Gesetzgeber das klarstellen muss, dann muss es eine Verfassungsänderung geben”, sagte Vorstand Eugen Brysch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Dienstag. “Ich halte eine Lösung in 16 Bundesländern einzeln für absurd.”
Das Karlsruher Gericht hatte in einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss die derzeitige Gesetzgebung zur sogenannten Triage gekippt. “Es besteht keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die angegriffenen Regelungen”, hieß es in der Mitteilung. Laut Beschluss des Ersten Senats ist zudem der Eingriff des Bundes in die Berufsfreiheit von Ärztinnen und Ärzten “verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt”.
Das Bundesverfassungsgericht habe zugleich klargestellt, dass Triage-Entscheidungen keine Gewissensentscheidungen seien, so Brysch. Das sei zu begrüßen: “Auch nach der Entscheidung muss festgestellt werden, dass der Berufsfreiheit der Ärzte Grenzen gesetzt werden.”
Überrascht vom Gericht zeigte sich der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Helmut Frister, auf Anfrage der KNA. Denn der Bundestag habe 2022 gesetzliche Regelungen beschlossen, weil das Verfassungsgericht angemahnt habe, dass der Gesetzgeber eine Regelung treffen müsse, erinnerte er. So sollte verhindert werden, dass etwa Menschen mit Behinderung bei einer Triage diskriminiert würden.
Experten sprechen von der Triage, wenn eine strikte Reihenfolge dringend zu behandelnder Patienten festgelegt wird. Dabei geht es etwa um die Frage, wer überlebenswichtige Geräte wie ein Atemgerät oder ein Intensivbett erhält, wenn nicht genügend Ressourcen für alle Patienten vorhanden sind. In der Konsequenz könnten ärztliche Entscheidungen für das Überleben Betroffener maßgeblich sein. Insbesondere während der Corona-Pandemie wurde aufgrund befürchteter Überlastungen von Kliniken über eine mögliche Triage diskutiert.
Jurist Frister zeigte sich skeptisch, ob die Länderparlamente anstelle des Bundestags zügig eine neue Regelung beschließen können. “Das Bundesverfassungsgericht empfiehlt da ein koordiniertes Vorgehen. Das heißt, es müsste vielleicht über die Gesundheitsministerkonferenz koordiniert werden. Aber ob wir überhaupt jetzt eine solche Regelung kriegen, das halte ich für sehr ungewiss.”
Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) will zusammen mit den Ländern notwendige Schlüsse ziehen. “Wir brauchen rechtssichere Regelungen in solchen Ausnahmesituationen für Betroffene und für Ärztinnen und Ärzte, die sich in ihrer Handlungsentscheidung auf rechtssichere Vorgaben verlassen müssen”, betonte sie. Der Staat habe eine Schutzpflicht gegenüber seiner Bevölkerung.
In Karlsruhe geklagt hatten mehrere Ärztinnen und Ärzte aus Notfall- und Intensivmedizin gegen Teile des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Darin regelt der Bund Kriterien für eine Entscheidung über überlebenswichtige Behandlungen.