Immer im Einsatz – und dennoch von allen Seiten oft in der Kritik: Mütter machen viel mit und erfahren trotzdem wenig gesellschaftliche Anerkennung. Eine Bewegung fordert, ihre Bedürfnisse mehr zu berücksichtigen.
Als die Landwirte vor zwei Jahren die Hauptstadt mit ihrem Protest lahmlegten und sich vor dem Brandenburger Tor versammelten, kam die Idee erstmals auf: “Wir dachten: Es kann doch nicht sein, dass die Trucker hier so viel Aufmerksamkeit bekommen, aber Mütter in ihrer Vielzahl im Schatten bleiben, in der Unsichtbarkeit”, sagt Antje Krause, Mitinitiatorin der Bewegung “100.000 Mütter”. “Es muss doch möglich sein auch hunderttausend Mütter vor das Brandenburger Tor zu bringen, fanden wir.”
So entstand die Idee, die morgen, 12 Uhr, in die Tat umgesetzt werden soll: Dann plant die Bewegung eine Mega-Mutter-Demo mit Wegen durch Berlin-Mitte zum Bundestag und Brandenburger Tor. Die Initiative will damit – mit Blick auf den Muttertag am Sonntag – ihren Forderungen Nachdruck verleihen: Dazu zählen etwa ein Gesundheitssystem, das die Bedarfe von Müttern angemessen berücksichtigt sowie “eine konsequente Einbeziehung von Müttern in alle gesellschaftsrelevanten Entscheidungen”. Die Einrichtung von betrieblichen Kitas zum Beispiel. Mehr Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen, mehr Hilfe für Alleinerziehende. Besser gewürdigte und bezahlte Care-Arbeit.
“Wir wollen eine Verbindung schaffen zwischen allen Müttern, gleich welcher Herkunft, Nationalität oder Partei und unabhängig von Alter oder Anzahl der Kinder”, so Krause, die eine Mutter-Kind-Klinik in Niedersachsen leitet.
Was es bedeutet, mit Kindern unterwegs zu sein – darauf wird ihrer Einschätzung nach in Deutschland immer noch zu wenig Wert gelegt. Das habe damit zu tun, dass strukturelle Bedingungen meist von Männern geplant und für deren Bedürfnisse ausgerichtet seien, kritisiert sie.
Das fange schon bei den öffentlichen Toiletten an: “Pissoirs sind kostenlos, Toiletten, die Frauen benötigen, kosten dagegen Geld oder es gibt keine.” Wer sein Kind unterwegs wickeln müsse, dürfe das dann auf einer Bank am Spielplatz erledigen – ohne sich nachher die Hände waschen zu können, kritisierte sie. Zumeist seien es eben immer noch die Frauen, die größtenteils für diese Care-Arbeit zuständig seien.
“Frauen zweifeln erst einmal an sich selbst, wenn sie erschöpft sind”, findet Krause. “Sie kommen gar nicht auf die Idee, dass es möglicherweise an strukturellen Bedingungen liegt und auch den Werten, die vermittelt werden. Wir alle haben patriarchalische Denkmuster verinnerlicht.”
In Deutschland sei das Bild von der “guten Mutter” nach wie vor vorherrschend, erklärt die Dresdner Soziologin Anne-Laure Garcia. Sie verweist auf Forschungen, nach denen der Ursprung des deutschen Mutterideals im Protestantismus Martin Luthers zu verorten sei. Die wichtigste Aufgabe der christlichen Frau lag demnach im Pflegen und Erziehen der Kinder.
“Die physische Mutterschaft, die bisher als Manifestation der Erbsünde galt, wurde dadurch nicht nur aufgewertet, sondern sie wurde vielmehr sogar zu einer Tugend”, so Garcia, die an der TU Dresden zur Mutterschaft forscht. Dieses Bild von der “fürsorglichen Mutter” dominiere in Deutschland immer noch, wenn auch in säkularisierter Form.
Entsprechend seien Mütter stets von allen Seiten Kritik ausgesetzt. “Als Mutter können Sie wenig arbeiten oder gar nicht – dann heißt es: Du hast ja ein cooles Leben ja, kannst du dir das leisten? Wenn Sie viel arbeiten, dann heißt es: Und wie machst du das mit deinen Kindern?”, so die 61-jährige Krause, selbst Mutter zweier Kinder.
“Um als Gesellschaft weiter bestehen zu können, brauchen wir diese Menschen, die sich umeinander kümmern, die sich auch trauen, Kinder aufzuziehen”, fordert sie. “Es kann nicht sein, dass der Preis für diese Liebe ist, erschöpft und ausgelaugt zu sein und dann auch noch im Alter bis zu 40 Prozent weniger Rente zu erhalten”, so die Initiatorin mit Blick auf drohende Altersarmut von Frauen.
Im Tarifrecht würden etwa genommene Elternzeiten bei der Erfahrungssteigerung nicht berücksichtigt. “Das heißt, dass eine Frau, die zu Hause bleibt wegen Elternzeit, ihre Erfahrungsstufe erst später erlangen kann, weil die Erziehungszeiten nicht angerechnet werden. Das wird sie in ihrer Lebensarbeitszeit niemals aufholen”, kritisierte sie. “Dabei ist Care-Arbeit der Kitt der Gesellschaft.”