Düsseldorf – „Es geht darum, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit darauf zu lenken, wie Europa hier in skandalöser Weise Recht bricht und seine Werte verrät“, sagte der rheinische Präses Manfred Rekowski bei seinem Besuch auf Malta vor wenigen Wochen. Er wies Vorwürfe zurück, private Seenotretter spielten Schleppern in die Hände. „Diese Helferinnen und Helfer retten Menschenleben, die in Seenot sind“, sagte Rekowski. „Der Vorwurf, sie arbeiteten den Schleppern in die Hände, kriminalisiert sie und ihren wertvollen Dienst.“ Die Seenotretter seien nicht die Ursache für die Flucht über das Mittelmeer, sondern die Reaktion auf eine Entwicklung, die auch Ergebnis einer falschen Flüchtlingspolitik sei.
Wer Nothilfe leistet, muss mit einer Anklage rechnen
Damit unterstrich der rheinische Präses den Beitrag von Harald Glöde auf der Veranstaltung der Evangelischen Akademie kürzlich in Düsseldorf. Glöde ist Mitgründer der Organisation „borderline-europe“, die in den Jahren 2015 und 2016 ein Boot in der Ägäis charterte, um Schiffsbrüchige zu retten. Er wies darauf hin, dass auf europäischer Ebene seit Langem ein Diskurs herrscht, der Rettungsinitiativen Menschenhandel unterstellt und sie für Migrationsbewegungen verantwortlich macht, die die EU mit ihrer Abschottungspolitik versucht zu verhindern. Rettungsschiffe werden in Häfen festgelegt oder eingezogen, Kapitäne müssen sich vor Gericht der Anklage stellen, Hilfe für illegale Einreise nach Europa geleistet zu haben.
Kriminalisierende Debatten um Fluchthilfe haben maßgeblich dazu beigetragen, ein negatives Bild über Fluchthelfer in der öffentlichen Meinung zu verfestigen. Dabei bleibt unerwähnt, dass Fluchthilfe erst durch eine europäische Migrationspolitik notwendig wird, die aktiv versucht, Migration zu verhindern.
Wie sich die EU-Grenzpolitik immer stärker zu einem sich abschottenden Grenzregime entwickelte, darüber gab Bernd Kasparek (Bordermonitoring, München) einen Überblick. Schon im Vertrag von Amsterdam (1997/99) sind Aspekte einer Politik der Vorverlagerung von Migrations- und Grenzkontrollen enthalten. Sie scheiterten bereits 2011 mit dem Ausbruch der demokratischen Revolten in Nordafrika, dem „Arabischen Frühling“.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte 2012 fest, dass die Zurückweisung von Flüchtlingen auf hoher See mehrere der in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierten Rechte verletzt. Als Konsequenz öffnete sich die Migrationsroute im Mittelmeer. Bald spitzte sich dort die Lage zu: Schiffsunglücke mit vielen Toten vor Lampedusa rüttelten auf, die Operation „Mare Nostrum“ der italienischen Regierung war die Antwort. Sie wurde auf Druck anderer EU-Staaten eingestellt.
Folgen der Verschiebung der Außengrenze
2015 wurde die „Europäische Agenda für Migration“ vorgestellt – irreguläre Migration sollte von da an das Eingreifen europäischer Institutionen zur Folge haben. Die europäische Grenzagentur Frontex wird einer der wichtigsten Akteure und entsprechend umfangreich ausgestattet. Im März 2016 erklärten die Türkei und die EU, eine Übereinkunft in der Verhinderung von Fluchtmigration über die Ägäis gefunden zu haben. Der Pakt mit der Türkei enthält Mechanismen zur Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei. Eine Zugangsprüfung wird vor das griechische Asylsystem gesetzt. Perspektivisch soll künftig entlang der gesamten EU-Außengrenze eine solche Zugangsprüfung vor das Asylsystem geschaltet werden und damit die betroffenen Flüchtlinge vom Recht auf Asyl ausschließen. Damit möglichst wenige Geflohene europäische Grenzen erreichen, werden diese „externalisiert“, das heißt nach außen an Ländergrenzen Nord- und Westafrikas verschoben.
Stephan Dünnwald (Bayerischer Flüchtlingsrat) machte deutlich, was dies bedeutet. Externalisierung beschreibt ein Bündel von Maßnahmen. Sie reichen vom Export von Grenzkontrolltechniken über Schulungen von Grenzpolizei, Rückübernahmeabkommen, Mobilitätspartnerschaften, Einführung von biometrischen Ausweisdokumenten, gemeinsamen Grenzpatrouillen und der Verabschiedung von restriktiven Migrationsgesetzen. Dabei wird Entwicklungshilfe immer mehr an die Kooperation bei der Migrationskontrolle gebunden. Menschenrechte spielen auch hier eine untergeordnete Rolle, vor allem, weil viele der afrikanischen Partnerregierungen selbst für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen stehen. Auch hier scheut sich Europa nicht, mit repressiven Regimen zu kooperieren und Gelder für Entwicklung an die Unterzeichnung und Umsetzung von Rückübernahmeabkommen zu knüpfen.
Menschenrechtsfrage künstlerisch aufgegriffen
Die Frage ist, wie dieses „Migrationsmanagement“ mit Menschenrechten in Einklang gebracht werden kann, für die die europäische Gemeinschaft beansprucht zu stehen. In Kooperation mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus wurde diese Frage auf ungewöhnliche und faszinierende Weise künstlerisch in dem Stück „Café Casablanca: Everybody Comes To Stay!“ im Rahmen der Veranstaltung aufgegriffen und umgesetzt. Der „Held“ Rick (Humphrey Bogart) – Urtyp des Schleppers – hilft großherzig und kaltschnäuzig den Schwachen und Schutzsuchenden mit einem Visum. Sein „Café Américain“ ist ein Ort der Hoffnung und der Verzweiflung in Zeiten, als die Menschen nicht nach Europa fliehen, sondern fort wollen aus einem Europa, in dem die menschenverachtenden Nazis die Macht übernommen haben. Die Wege der Flüchtenden damals verliefen auf denselben Routen wie die Wege der „Refugees“ heute – nur in umgekehrter Richtung.