Artikel teilen

Mit geradem Rücken

Andacht über den Predigttext zum Reformationstag: Römer 3, 21–28

Martina Chardin

Predigttext
21 Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. 22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: 23 sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten 24 und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. 25 Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher 26 begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus. 27 Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. 28 So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.

 

Martin Luthers Frage „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ ist nach allgemeiner Auffassung nicht die Frage, die Menschen heute umtreibt. Obwohl: Da bin ich mir nicht ganz sicher. Nur kommt die Frage vielleicht in sehr weltlicher Gestalt daher. Wann bist du etwas wert? Vor dir und vor anderen?
Diese Frage treibt Menschen sehr wohl um. Und wenn gilt, dass unser Gott ist, woran unser Herz hängt (ebenfalls Martin Luther) – dann hängt das doch stark an der Anerkennung durch die Gesellschaft, durch die anderen. Und da geht es ziemlich ungnädig zu: Welche Handymarke kannst du dir leisten? Welche Markenschuhe und welches Auto? Auf welche Schule geht dein Kind? Wohin fährst du in Urlaub und wie groß ist deine Wohnung, dein Gehalt…
Hier gibt es klare Bewertungen. Wer nicht mithalten kann, ist leicht ausgegrenzt: aus der Klassengemeinschaft, aus der Nachbarschaft, aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen. Und weil die Bewertung so klar ist, zweifle ich leicht an mir selbst: Wenn ich da nicht mithalten kann, habe ich es nicht geschafft im Leben, es zu nichts gebracht.
Spüren Sie das auch? Wie sich in solchen Themen die unbarmherzige Leistungsspirale auch heute dreht? Was muss ich tun, um akzeptiert zu sein bei anderen, vor mir selbst und vielleicht sogar vor Gott? Was habe ich falsch gemacht, wenn es mir nicht so gut geht, wie es die Normen um mich herum vorsehen?
Paulus, der solche Fragen kennt, hat gelernt. Er hat gelernt und gespürt, dass es bei Gott ganz anders zugeht. Er, der das letzte Ja über unserem Leben spricht, braucht dafür nichts, aber rein gar nichts von uns. Für ihn sind wir wertvoll, geliebt, angesehen: einfach so. Aus Liebe. Um Jesu willen. Das ist gemeint, wenn Paulus schreibt, dass die Gerechtigkeit vor Gott uns durch Jesus zugeeignet wird. Sie ist eine Eigenschaft, die Gott uns schenkt: Für mich bist du kein Nobody! Denn du bist mein geliebtes Kind!
Das kannst du dir im Übrigen gar nicht verdienen. Das kann kein Mensch. Das konnte Paulus nicht. Und Luther auch nicht. Niemand kann das. Und niemand muss das. Es gibt niemanden, der nicht auf die Liebe und das bedingungslose Ja Gottes angewiesen wäre. Immer kommt der „alte Adam“, in uns hoch und manchmal auch aus uns heraus. Und da räumt Gott selber durch Jesus auf. „Allein aus Gnade, allein durch Christus“ formuliert es die Tradition.
Eine ungeheure Botschaft in der Leistungsgesellschaft. Eben: Evangelium. Gute Nachricht für alle Menschen. Mit enormen Konsequenzen. Erst einmal für mich. Ich kann heraus aus der Leistungsspirale. Ich kann den aufrechten Gang üben. Ich kann andere als genauso bedingungslos geliebt ansehen – ihnen gilt Gottes Ja wie mir. Sie brauchen es wie ich. Und sie bekommen es wie ich. Die universalen Menschenrechte kann man hieraus ableiten. Auch das Engagement für jedes Kind. Auch für Muslime und Geflüchtete gilt das. Wir spüren: Diese Sicht löst eine Revolution aus. Sie verhindert alle selbstgerechten Grenzziehungen und Überheblichkeit gegenüber anderen. Ach, wenn wir doch so miteinander leben könnten.
Wie man das spürt, nicht nur mit dem Kopf? Luther hat dazu ermutigt, sich mit dem Zeichen des Kreuzes zu zeichnen: Du gehörst Christus, der dich liebt. Im Bibliodrama haben wir manchmal geübt, im Raum im Bewusstsein dieses Liebesmantels Gottes umherzugehen. Was waren das für aufrechte Körperhaltungen. Und die anderen im Raum durften und taten das auch. Schön, sie so anzusehen!
Möge es uns gelingen, diese wunderbare Botschaft von der Rechtfertigung allein aus Gnade den Menschen und uns selbst nahezubringen. Gerade auch im Jubiläumsjahr der Reformation!