Ein Lotse verlässt das Schiff: Klaus Winterhoff, Juristischer Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen, wird bei der Synodaltagung in der kommenden Woche in Bielefeld-Bethel zum letzten Mal die Finanzen vorstellen (Seite 4). Weit über die Grenzen Westfalens hinaus hat der Finanzexperte den Kurs der evangelischen Kirche mitbestimmt. Mit Winterhoff sprach Gerd-Matthias Hoeffchen.
• Das ist Ihre letzte Synode. Planen Sie etwas Besonderes?
Das ist meine letzte Synode als Vizepräsident, aber das Geschäft läuft natürlich weiter. In der Finanzplanung gibt es keine Zäsur. Und aus dem Amt verabschiedet werde ich ja auch erst am 29. April im kommenden Jahr …
• … in der Zionskirche Bethel in Bielefeld.
Meine Haushaltsrede wird so sein, wie sie in den vergangenen Jahren immer waren, jetzt eben zum aktuellen Stand.
• Sie sind bekannt für Ihre Zitate und rhetorischen Pointen. Was dürfen wir diesmal erwarten?
Warten Sie’s ab. Aber ich glaube, es wird schon ganz gut passen.
• Wir warten voller Spannung. Sie haben in den 20 Jahren Ihres Dienstes als oberster Jurist und Verantwortlicher für die Finanzen ganz verschiedene Phasen erlebt.
Am Anfang war die finanziell schwierigste Zeit. Da hatten wir eine Ausgleichsrücklage von vielleicht noch einigen 100 000 Euro. Wir haben versucht, das Beste daraus zu machen. „Auskommen mit dem Einkommen“, das war die Zeitansage …
• … ein Wort von Ihnen, das quasi zum Programm der Evangelischen Kirche in Deutschland wurde …
… und daran haben wir uns gehalten. Es folgten die Strukturmaßnahmen auf landeskirchlicher Ebene. Die Arbeit hat Früchte getragen.
• Die Kirche hat dabei auch etwas Glück gehabt.
Aber ja. An dieser Stelle zitiere ich den Alten Fritz: Meine Offiziere brauchen Fortune. Und das hat der Finanzreferent in den letzten Jahren gehabt. Was ich bei mancher Prognose nicht geglaubt habe. Aber das Schwierige bei Prognosen ist ja, dass sie sich auf die Zukunft beziehen… Dass sich das Kirchensteueraufkommen so erholt hat, was der Konjunktur zu danken ist, hat niemand von uns vorausgesehen.
• Trotzdem sagen Sie, die Kirchen hätten lediglich eine „Atempause“.
Ich habe geglaubt, dass die Demographie-Verluste sich eher niederschlagen würden. Aber im Moment überlagert die gute Konjunktur diese Verluste. Man kann jedoch genau sehen, dass sie da sind. Wenn man das Verhältnis der Kirchensteuer prozentual ins Verhältnis zur Einkommensteuer setzt, dann erkennt man, dass der Anteil der Kirchensteuer an der Einkommensteuer, die ja die Bemessungsgrundlage ist, immer weiter zurückgeht. Die nächsten Jahre, ich sag mal ab 2018, werden deutlich angespannter. Dann brauchen wir erneut Strukturmaßnahmen.
• In welche Richtung wird sich die Kirche entwickeln?
Die Kirche wird kleiner werden. Der institutionelle Rock muss enger geschnürt werden. Das wird nicht ohne gelegentliches Heulen und Zähneklappern möglich sein. Die Frage der Versorgungslasten wird uns etliche Jahre noch beschäftigen.
• Aber Kirche hat Zukunft?
Ja sicher! Die Kirche hängt im Wesentlichen nicht von uns ab. Aber die äußeren Möglichkeiten, die müssen wir versuchen nach dem Maße menschlicher Einsicht zu konstruieren.
• Durch die Strukturprozesse und das Zusammenlegen von Gemeinden ist an vielen Orten der Eindruck entstanden, es ginge in der Kirche inzwischen vor allem ums Geld und nicht mehr um den Auftrag.
Das Ausspielen von Betriebswirtschaft und Theologie halte ich für fatal. Das Geld ist nicht das Saatgut der Kirche; das ist das Wort. Aber diejenigen, die das Wort ausrichten, müssen auch bezahlt werden können. Auch die Verwaltung hat Teil am Auftrag der Kirche. Wie gesagt, warten Sie mal meine Haushaltsrede ab.
• Wie bereiten Sie so eine Rede eigentlich vor? Sie zitieren den Alten Fritz, Luther … Haben Sie ein ausgezeichnetes Gedächtnis, eine besondere Recherche-Methode?
Also, wenn ich etwas lese und es fällt mir auf, dann wird‘s gespeichert. Manchmal fällt mir etwas ein. Und ich habe ein Faible für Formulierungen und Sprüche.
• Sie formulieren präzise und sauber, manchmal zum Schrecken Ihrer Kombattanten.
Nicht drum herumreden. Beim Namen nennen. Das ist meine Devise. Daran kann man sich reiben. Aber im Diskurs ergeben sich die besten Lösungen.
• Können Sie nachvollziehen, dass manche Menschen sich auch ein bisschen vor Ihnen fürchten?
Furcht ist keine Kategorie. Zum Amt der Kirchenleitung gehört es allerdings auch, leiten zu wollen.
• Mögen Sie es, wenn Widerspruch kommt?
Ich habe immer versucht, die stärksten Menschen zu engagieren. Es geht der Kirche am besten, wenn sie starke Personen hat, die Verantwortung übernehmen. Klar ist, wer letztlich die Entscheidung zu verantworten hat und sie deshalb auch trifft. Aber bis dorthin braucht man den starken Diskurs.
• Sie sind nicht nur in der westfälischen Kirchenleitung, sondern auch Mitglied des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland, und zwar seit 2003 …
Das war ein Wahlmarathon! Zwölf Wahlgänge hat es gedauert.
• Schon bald haben Sie auch dort den Posten besetzt, den Ihnen niemand mehr streitig gemacht hat: den des Fachmanns für die Finanzen.
Ich war schon vor meiner Wahl Vorsitzender des Finanzbeirates. So ergab sich das nahtlos.
• Haben Sie da eine ähnliche Linie fahren können wie in Westfalen – „Auskommen mit dem Einkommen“?
Es gab eine ausgezeichnete Zusammenarbeit mit dem EKD-Finanzdezernenten Thomas Begrich. Das war immer Doppelpass-Spiel. Wir konnten eine ähnliche Linie fahren wie in Westfalen – „Auskommen mit dem Einkommen“.
• Was wahrscheinlich nicht ganz so einfach war, weil auf EKD-Ebene noch einmal ganz andere Interessen und ein anderer Proporz eine Rolle spielen …
Das ist noch mal komplexer als in einer Landeskirche, das muss man sehen.
• Die westfälische Kirche hat 1998 die Evangelische Gesamtschule in Gelsenkirchen eingerichtet, das war ein Projekt, das der damalige Präses Manfred Sorg sehr stark vorangetrieben hat. Sie waren damals nicht so begeistert.
Ich war dagegen.
• Würden Sie jetzt im Nachhinein sagen: Manche Dinge muss man einfach auch zulassen?
Manfred Sorg und ich sind damals ganz fair miteinander umgegangen. Mein Part war der des Finanzers. Und aus dieser Sicht ging die Investition in die Schule zur damaligen Zeit zu Lasten der anderen kirchlichen Ämter und Einrichtungen. Wir mussten eine Bürgschaft aufnehmen von deutlich über 20 Millionen Euro, hatten aber keine Sicherungs-Rücklage dafür. Das war eine sehr lange Diskussion auf der Synode und im ständigen Finanzausschuss. In die Debatten kam eine Meldung der damaligen Schulministerin, die zusicherte, dass für den Fall, dass aus finanziellen Gründen eine Weiterführung der Schule nicht mehr möglich sei, das Land Nordrhein-Westfalen die Kosten übernehmen würde. Das brachte den Durchbruch.
• Heute ist die Gesamtschule ein Vorzeigeprojekt, auf das man stolz ist.
Natürlich.
• Für Ihre Nachfolge jetzt bei der Wahl durch die Landessynode hat der Nominierungsausschuss nur einen Kandidaten aufgestellt. Ist es im Moment so schwer, geeignete Gegenkandidaten zu finden?
Was heißt: momentan? Ich bin schon 1995 als einziger Kandidat vorgeschlagen worden. Da haben Synodale zwar noch einen Gegenkandidaten aufgebaut, aber man muss sagen, es ist sehr schwer, qualifizierte Personen zu finden, die sich auf Kirche einlassen. Und es ist mittlerweile noch schwerer geworden. Das sieht man auch bei den Besetzungsverfahren anderer Landeskirchen. Es müssen starke Figuren sein, die nicht nur Juristen sind. Sondern auch einen theologischen Diskurs führen können.
• Ihrem Nachfolger werden Sie eine gut geordnete Verwaltung übergeben.
Wir haben viel bewegt in den vergangenen Jahren. Das ehrgeizigste Projekt war wohl das neue Finanzausgleichs-Gesetz. Dann die Neustrukturierung der landeskirchlichen Ebene. Die Gebäude sind saniert, Stichwort: Haus Villigst. Das neue Archiv ist gebaut. Das Landeskirchenamt ist saniert. Und die Rücklagen sind so, dass man zwar nicht sorglos in die Zukunft gehen kann. Aber die Mittel sind da, um Einbrüche im Kirchensteueraufkommen aufzufangen, Zeit für Strukturmaßnahmen zu gewinnen. Wir haben ja seinerzeit sogar drei landeskirchliche Haushalte durch Kreditaufnahmen ausgleichen müssen.
• Ihre ersten drei?
Ja.
• Das ist heute kein Thema mehr?
So etwas darf kein Thema sein. Deswegen: Auskommen mit dem Einkommen. Nicht auf Pump leben.
• Gab es da einen Bewusstseinswandel?
Die Mentalität ist eine andere. Bis zum Beginn der 90er Jahre war Kirche eigentlich immer im Aufwind, und die Demographie ist absolut verdrängt worden. Das war aber nicht nur bei der Kirche der Fall, denken Sie an die Diskussion um die Rentenkassen: Die Renten sind sicher! Wir haben gesagt: Wir müssen das anders machen und unsere Versorgungskasse sichern.
• Anders als die öffentliche Hand, die kaum Rücklagen gebildet hat und die Pensionen nach wie vor fast komplett aus dem laufenden Haushalt bezahlt …
Die Rückstellungen der öffentlichen Hand hierfür sind homöopathisch.
• Als sich die heutige Präses Annette Kurschus 2011 der Synode zur Wahl stellte, hat sie eine starke Vorstellungsrede gehalten …
… brillant!
• Ein rhetorischer Kernpunkt dabei war, dass sie mögliche Bedenken in der Luft zerpflückte, sie werde sich gegen die zwei bekanntermaßen starken Vizepräsidenten nicht durchsetzen können. Was sagen Sie zu derartigen Einschätzungen?
Das sind eigentlich unangemessene Kategorien für die Beurteilung von Menschen. Ich kann für mich sagen, ich habe als Juristischer Vizepräsident mit allen Präsides hervorragend zusammengearbeitet. Ich gehe davon aus: die Präsides auch mit mir. Das waren Hans-Martin Linnemann, Manfred Sorg, Alfred Buß und jetzt Annette Kurschus.
• Trotzdem scheint ein gewisser Eindruck verbreitet zu sein, wenn Frau Kurschus ihn in ihrer Vorstellungsrede so brillant aufgreifen konnte.
Also, eines muss man natürlich sagen: Der Kassenwart hat in allen Organisationen einen gewissen Einfluss. Das ist auch bei der Kirche so. Aber der Kassenwart verwaltet ja die Kassen um des Gesamten willen. Nicht, weil es seine Kasse wäre. Es geht darum, Ziele gemeinsam zu erreichen.
• Sie machen meist einen sehr sachlich-nüchternen, rationalen Eindruck. Das ist ein ganz anderer Stil, als ihn beispielsweise der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider pflegt oder seine Amtsvorgängerin Margot Käßmann. Beide haben sehr persönliche Dinge öffentlich gelebt, auch schwere Schicksalsschläge.
Meine Sache ist das nicht. Ich habe da eine gewisse lutherische Berufsethik. Die protestantische Trennung von Amt und Person ist mir wichtig. Natürlich gibt es auch den privaten Menschen Winterhoff …
• Was macht der?
Liest zum Beispiel gerne Krimis. Ich habe auch eine tiefe Zuneigung zum Musiktheater. Ich hatte das große Vergnügen, jetzt bei der Premiere der Meistersinger von Nürnberg in der Berliner Staatsoper zu sitzen. Großartig … Opern, Richard Wagner, natürlich.
• Gospelmusik?
Fördere ich, wo ich kann. Da werden Menschen mit dem Evangelium erreicht. Das muss man unterstützen.
• Sie waren bei der Uraufführung des Pop-Oratoriums „Luther“ am Reformationstag in der Westfalenhalle Dortmund dabei?
Ja sicher. Wunderbare Sache.
• Norbert Lammert, der Bundestagspräsident, war auch da.
Ein Meister der Rede!
• UK hat mal über ihn geschrieben: Er beherrscht rhetorisch sowohl das Florett als auch die Keule.
Ich fühle mich dem etwas verwandt.
• Florett und Keule?
Na, vielleicht besser: Florett und Säbel. Alles zu seiner Zeit.
• Ihr Bruder ist Pfarrer …
… und meine Frau Pfarrerin. Also ich muss mit denen schon zu Rande kommen. Und ab und zu predige ich auch.
• Haben Sie es jemals bereut, nicht selbst Pfarrer zu sein?
Nein. Ich schätze die Jurisprudenz. Das ist weit mehr als allein Paragrafen. Das ist eine Struktur des Denkens. Sachverhalte klarstellen. Lösungsorientiert arbeiten.
• Martin Luther sagte: Die Kirche muss sich stets erneuern. Was muss sich in den nächsten Jahren ändern?
Nehmen wir die nächste Herausforderung: 2016 sind Kirchenwahlen. Wie gewinnen wir qualifizierte Presbyterinnen und Presbyter? Nach unserer Kirchenordnung übernehmen Ehrenamtliche eine maßgebliche Verantwortung für den Weg der Kirche. Das Problem ist nicht das ehrenamtliche Engagement an sich. Die Gesellschaft ist voll davon, wie wir jetzt bei der Flüchtlingshilfe sehen. Aber die Bereitschaft und Qualifikation für verantwortliche Positionen, in Staat und Gesellschaft, das ist ein Problem. Das gilt für eine Kirchengemeinde ebenso wie für ein Stadtparlament. Wo sind auch die Orte, die wir früher einmal hatten, an denen junge Menschen an die Herausforderungen herangeführt werden?
• Die Gewerkschaftsjugend …
… die evangelischen Jugendverbände. Die haben genau wie die gesamte Kirche an gesamtgesellschaftlicher Bedeutung verloren. Ich war 16, da haben sie mich in der Jugendarbeit in den Vorstand des örtlichen CVJM Plettenberg berufen. Und dann ging das weiter: Kannst du hier? Kannst du vielleicht auch da? Und: Wumms! War man in der Sache drin. Und plötzlich war ich Schatzmeister beim CVJM-Gesamtverband in Deutschland.
• Peter Hahne hatte bei einer EKD-Synode, als er dort noch im Rat war, für UK mal die verschiedenen Gruppierungen in der Synode erklärt. Er selbst zählte sich zur „frommen“ oder evangelikalen Fraktion. Wo würden Sie sich da einordnen?
Etiketten lass ich mir nicht aufdrücken. Schubladen taugen nicht.
• Aber dass man Sie als die Speerspitze des Linksliberalismus ansehen könnte, würde wohl auch niemand behaupten?
Das tut ja auch keiner.