Normalerweise empfängt der Mediziner Malte Ganssauge seine Patienten bei sich in der Praxis. Das flache Gebäude in Lübstorf bei Schwerin war mal ein Einkaufsmarkt, heute arbeiten dort Ärzte und Physiotherapeuten. Seit der Corona-Pandemie bieten die Allgemeinmediziner ihren Patienten auch Videosprechstunden an.
„Die Idee kam uns im ersten Lockdown. Wir mussten eine Möglichkeit finden, Patienten zu sehen, die einen dringenden Beratungsbedarf hatten. Viele hatten natürlich auch Angst in die Praxis zu kommen und brauchten trotzdem einen Arzt“, sagt Ganssauge. Seit elf Jahren arbeitet er in Lübstorf. „Es wurde sehr gut angenommen. Wir haben das über unsere Internetseite verlinkt, Patienten konnten sich durch ein Menü klicken und haben uns dann gefunden. Und ich konnte das sogar von zu Hause machen.“
Die Video-Sprechstunde ist auch nach der Corona-Zeit ein fester Bestandteil des Behandlungsangebots in Lübstorf geblieben. An manchen Tagen gebe es bis zu 20 Anmeldungen für die Videosprechstunde, sagt Ganssauge. Im Gesamtjahr 2025 waren es bis September mehr als 900.
„Es hat seine Berechtigung, zur Vermeidung von Ansteckungen in der Praxis, oder wenn ich Fieber habe und das Bett nicht verlassen möchte“, sagt der 55-jährige Allgemeinmediziner aus Mecklenburg-Vorpommern. „In der Regel ist es auch so, dass man über das Videobild wahrnehmen kann, ob jemand schwer krank ist oder nicht. Es kommt gelegentlich vor, da sagen wir dann: ‘Kommen sie mal lieber persönlich vorbei.’“
Für die Videosprechstunde beim Arzt muss man sich vorher online registrieren, außerdem braucht es ein Smartphone oder einen Computer mit Kamera. Die Registrierung dauert nur wenige Minuten. Ein Angebot, das zunehmend mehr Menschen nutzen. Laut Techniker Krankenkasse (TK) fanden 2024 im Vergleich zum Vorjahr in allen drei norddeutschen Bundesländern deutlich mehr Videosprechstunden statt: In Hamburg 12 Prozent mehr, in Schleswig-Holstein 32 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern 15 Prozent. Insgesamt gab es im vergangenen Jahr rund 711.000 solcher Termine in Deutschland, so die TK.
„Wichtig ist auch, dass man mit einer Videosprechstunde Distanzen überwinden kann“, erklärt Maren Puttfarken, Leiterin der TK-Landesvertretung Hamburg. „Wenn in einem Gebiet, gerade im ländlichen Raum, kein Arzt oder Ärztin da ist, dann kann man über die Videosprechstunde eine Behandlung sicherstellen. Selbst, wenn der Arzt nicht am eigenen Ort ist, sondern zum Beispiel 100 Kilometer entfernt.“
Allerdings: Der Großteil der Beratungen findet nach wie vor in der Praxis statt. Die Barmer Krankenkasse meldet, dass nur ein Prozent aller abgerechneter Sprechstunden online per Video stattfinden. Die meisten Patientengespräche, die er über das Internet führt, seien sehr kurz, beschreibt Allgemeinmediziner Ganssauge. In der Regel bräuchten die Menschen eine Krankschreibung. Es gebe aber auch immer wieder Versuche, das Angebot zu missbrauchen.
„Häufig sind es Patienten, die uns überzeugen wollen, ihnen Betäubungsmittel zu verschreiben“, sagt Ganssauge. „Die klappern dann die Ärzte online ab und werden vielleicht auch irgendwann jemanden finden.“ Das Missbrauchspotenzial sehe er „kritisch“. Trotzdem wolle er die Videosprechstunde weiter anbieten, denn die große Mehrheit der Patienten sei ehrlich.
Arztpraxen wie die von Malte Ganssauge sind noch in der Minderheit. Nur 6,5 Prozent aller Ärztinnen und Ärzte in Deutschland bieten Videosprechstunden an. Dabei zeigt eine Umfrage, dass das Interesse an einer solchen Behandlung groß ist. Bei der Forsa-Erhebung für die Techniker Krankenkasse waren zwei Drittel der Befragten bereit, ein Arztgespräch per Video zu führen.