Angesichts des neu aufgeflammten Bürgerkrieges in Syrien fordern Menschenrechtler einen Kurswechsel der deutschen Politik gegenüber dem arabischen Land. Seit Beginn der syrischen Revolte im Jahr 2011 hätten die Bundesregierungen aus geopolitischen Interessen und auf Empfehlung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sunnitisch-islamistische Gruppen statt demokratische, säkulare Kräfte unterstützt, sagte der Nahostreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker, Kamal Sido, am Montag in Göttingen. „Das Ergebnis der zutiefst verfehlten Syrienpolitik Deutschlands war, dass radikale Islamisten wie IS, Al-Kaida und die Muslimbrüder den syrischen Aufstand gegen die Assad-Diktatur weitgehend unterwanderten.“
Mit dem Vormarsch der radikalen Islamisten auf die nordsyrische Metropole Aleppo und andere Städte drohe die ethnische, religiöse, kulturelle und sprachliche Vielfalt im Nordwesten Syriens endgültig zu verschwinden, fügte Sido hinzu: „Dort wird vorerst das islamische Recht der Scharia herrschen.“
Erdogan und die Islamisten brächten Syrien keine Demokratie, vielmehr werde es künftig noch schlimmer um die Menschenrechte und um die Rechte der Minderheiten bestellt sein. „Wer Demokratie in Syrien will, muss Erdogan und andere Islamisten in die Schranken weisen“, betonte Sido.
Mit den aktuellen Angriffen der Türkei und ihrer islamistischen Söldner auf die letzten von Kurden bewohnten Ortschaften im Norden Aleppos sei zudem das Ende der kurdischen Existenz „faktisch eingeleitet“. Gleiches gelte für Armenier, Assyrer und andere christliche Gemeinschaften. Die Gefahr von Gräueltaten und Massakern an diesen Volksgruppen sei groß. In den syrischen islamistischen Medien wird Sido zufolge „auf übelste Weise gegen Kurdinnen und Kurden gehetzt“.
„Syrien braucht nach über 50 Jahren Assad-Diktatur Demokratie und Gleichberechtigung für alle Bürgerinnen und Bürger und keine neue islamische Republik von Erdogans Gnaden“, erklärte Sido. Wer ein säkulares System in Syrien wolle, dürfe nicht Erdogan und andere Islamisten unterstützen, sondern die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF). Diese seien multiethnisch, multireligiös, säkular und träten für Glaubensfreiheit und für Frauenrechte ein. Das 2015 gegründete Militärbündnis werde von Kurden angeführt.