Am 10. Dezember 1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Gilt sie 70 Jahre danach noch? Was braucht es, um sich für Menschenrechte einzusetzen? Auch die Kirche kann dazu beitragen, so der Menschenrechtsverteidiger Peter Steudtner. In der Türkei war er zu Unrecht inhaftiert. Die Quäker-Hilfe-Stiftung zeichnete ihn mit dem Friedenpreis 2017 aus.
Von Peter Steudtner
240000 Menschen waren im Oktober unter dem Motto #unteilbar in Berlin auf der Straße. Ein riesiger Erfolg für die Menschenrechte in Deutschland. Als einer von den 240000 fühle ich mich in meiner Haltung bekräftigt: Die Menschenrechte sind #unteilbar. Sie gelten für alle und überall. Sollten sie zumindest.
Können wir als Einzelne überhaupt etwas ändern?Im Demonstrationszug auch viele Geflüchtete. Ihr Recht auf Asyl, auf menschenwürdige Unterkunft, auf ein selbstbestimmtes Leben werden bei uns massiv eingeschränkt. Jeden Tag. Sicherheits- und Migrationsbehörden behandeln sie oft diskriminierend. Es bleibt viel zu tun, um diese Menschenrechtsverletzungen zu beenden. Aber: Können wir da als Einzelne überhaupt was ändern? Ich meine: Wir können! Wir können uns vielfältig politisch engagieren. Aber auch auf der kleinen privaten Ebene ist Solidarität, die um Augenhöhe bemüht ist, eine gute Möglichkeit, Menschenrechtsverletzungen zu bekämpfen. Sei es durch Begleitung bei Amtsgängen oder auch durch „Asyl in der Kirche“.
Wie fühlen sich Menschenrechtsverletzungen an?Oft werde ich gefragt: „Wie fühlt sich das an, von Menschenrechtsverletzungen betroffen zu sein?“ Und auch da ist für mich die Solidarität eine Antwort. Menschenrechtsverletzungen können sehr verschieden sein – in meinem Fall waren es die überfallartige unrechtmäßige Festnahme, das Eingesperrtsein in Isolationshaft, die minimalen Kommunikationszeiten mit meiner Familie und Anwält*innen. Das war in einzelnen Momenten niederschmetternd. Aber ich konnte sie aushalten – durch die vielen Solidaritätsaktionen innerhalb der Gefängnisse und außerhalb. Durch die Unterstützungskampagnen in der Türkei und international und Fürbitt-Andachten, wie Wachet-und-Betet in der Gethsemanekirche. Und den Rest der Zeit hat mich diese „Magie der Solidarität“, wie Schriftsteller Do?an Akhanl? so zutreffend schreibt, getragen. Ich habe mich weiter als Teil der Welt gefühlt. Also das Gegenteil von dem, was politische Repression – wie die Inhaftierung von uns #Istanbul10, zehn während eines Seminars in Istanbul zusammen festgenommene Menschenrechtsverteidiger*innen – will: Beziehungen zerstören und soziale Bewegungen spalten und schwächen.
Menschenrechte und Gemeinde – #unteilbarAuch in den Gemeinden sind für mich Menschenrechte #unteilbar. Wenn Gemeinden sich für Geflüchtete einsetzen, mit ihnen gemeinsam leben, vielleicht Kirchenasyl geben, erreichen wir viel auf individueller wie politischer Ebene. Aber auch der Kampf gegen Obdachlosigkeit und für bezahlbare Mieten ist für viele Gemeinden nicht nur ein Problem vor der eigenen Haustür, sondern hinter ihr: Viele Gemeinden vermieten Wohnungen in den Gemeindehäusern. Hier haben wir die Chance, sozialpolitische Akzente zu setzen und gegen Gentrifizierung und soziale Verdrängung mit gutem Beispiel voranzugehen.
Eintreten für Menschenrechte will geübt seinAuf der #unteilbar-Demonstration bewegte mich ein kleines Plakat besonders: „Können die Klügeren bitte einmal nicht nachgeben?“ Ja, genau. Aber ich weiß auch: Das will geübt sein. Und dafür sind Gemeinden ein wichtiger Ort. Ein gutes Beispiel ist für mich hier die Jugendrüste des Kirchenkreises Berlin-Stadtmitte zum Thema „Protest“ im Wendland. Gewaltfreies und solidarisches „Nicht-Nachgeben“ ist gefragt. Wo fangen wir heute an?