„Schwarz-Weiß ist Farbe genug“ – beim Blick auf grellbunte Werbewelten oder Instagram-Accounts scheint das aktuell kaum vorstellbar. Wer sich jedoch in die Welt der vielfach preisgekrönten Pressefotografin Barbara Klemm aufmacht, stellt fest: Auch ganz ohne Farbe gelingt es ihrer Schwarz-Weiß-Fotografie aus mehr als fünf Jahrzehnten auf einzigartige Weise, Schlüsselmomente des politischen oder kulturellen Lebens einzufangen und beim Betrachten in der eigenen inneren Bilderwelt zu verankern. Sei es der legendäre sozialistische Bruderkuss von Leonid Breschnew und Erich Honecker 1979 in Ost-Berlin, sei es Heinrich Böll auf einem Stühlchen bei einer Friedensdemo 1983 oder die Philosophin und Feministin Simone de Beauvoir bei sich zu Hause. Es sind intensive Momente, die von Licht und Schatten leben, von Mimik, Gestik und Umgebung.
Gezeigt wird ein Lebenswerk
Von daher hat die Ludwiggalerie Schloss Oberhausen den Titel ihrer Ausstellung über Barbara Klemm gut gewählt: „Schwarz-Weiß ist Farbe genug. Fotografien 1967 bis 2019“. Sie ist ab Sonntag (22. Januar) bis 7. Mai zu sehen und zeigt rund 150 Presse-, Dokumentar- und Porträtfotos aus einem halben Jahrhundert. Ein Lebenswerk, das die Frankfurter Fotografin zur unverwechselbaren „Chronistin der Gesellschaft und Geschichte unseres Landes“ gemacht hat, wie Bundespräsident Steinmeier es zu ihrem 80. Geburtstag formulierte – sie sei „eine Meisterin des richtigen Moments“. Von 1970 bis zu ihrer Pensionierung 2005 bereiste Barbara Klemm Deutschland und die Welt als festangestellte Redaktionsfotografin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) mit Schwerpunkt Politik und Feuilleton.
Weib, sei willig, dumm und stumm
Trotz vieler Auszeichnungen sei ihr die Karriere nicht zu Kopf gestiegen, sagt die 83-Jährige. Denn der Erfolg sei „harte Arbeit und fällt einem nicht in den Schoß“. Manchmal müsse man stundenlang warten, um den einen ganz besonderen Moment zu erwischen, in dem sich Ereignisse verdichteten. Manches Mal habe sie sich auch über Bildunterschriften der konservativen FAZ-Redaktion geärgert und das dann später angesprochen, erzählt Klemm. Vorstellbar etwa zu Beginn ihrer Karriere, als sie die Frankfurter Studentenbewegung porträtierte, junge Frauen mit einem kämpferischen Plakat: „Weib sei willig, dumm und stumm – diese Zeit ist jetzt um.“ Ein anderer Blick auf die Politik ist Klemms berühmtes und nur seitlich aufgenommenes Bild von NPD-Saalschützern 1979: Dickbäuchig und wichtigtuerisch behelmt stehen sie da, es soll die NPD viele Wählerstimmen gekostet haben.
Helmut Kohl, Joschka Fischer und Obdachlose
Eine sensible Wahrnehmung, ein Blick für die Gesamtkomposition des Augenblicks, so beschreibt Barbara Klemm ihre Arbeit. Aber es geht nicht nur um Soft Skills: „Man muss auch einen eigenen Standpunkt haben und den muss man vertreten“, sagt Klemm selbstbewusst. Politikern gegenüber wie Helmut Kohl oder Joschka Fischer, den sie ganz staatsmännisch im Sessel sitzend vor einem Porträt von Willy Brandt fotografiert hat.
Mit großer Empathie hat Klemm aber auch den Alltag unbekannter Menschen eingefangen: Obdachlose in New York oder eine Straßenszene in Indien ebenso wie Bauern in der hessischen Wetterau bei der Pause von der Feldarbeit. Etwas ganz Besonderes in der Ausstellung ist ein Raum, der den Porträts von Künstlerinnen und Künstlern gewidmet ist und eine besondere Nähe zur Kunst erkennen lässt, denn sie selbst ist in einem Künstlerhaushalt aufgewachsen. Hier sind ungewohnte, weil eher private Perspektiven auf Prominente zu sehen, die sich von Barbara Klemm zu Hause oder bei der Arbeit ablichten ließen: Joseph Beuys, Herta Müller, Elfriede Jelinek, Golo Mann oder Friedrich Dürrenmatt etwa.
Jedes Foto hat seine Geschichte
Zu fast jedem Foto kann Barbara Klemm eine Geschichte erzählen – und sie erzählt lebhaft und gerne. Auch davon, dass sie froh ist, dass sie sich beruflich nicht mehr in die digitale Fotografie einarbeiten musste: „Ich arbeite immer noch analog“, sagt sie, heute sind es vor allem Landschaftsbilder, und ja, sie sei glücklich über all die Momente, die sie festhalten konnte. Manche dieser Momente wurden erst dadurch zu etwas Besonderem – und zu Zeitdokumenten, die einen Museumsbesuch wert sind.