Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Nordrhein-Westfalen (RIAS) hat 2024 insgesamt 940 antisemitische Vorfälle erfasst – 42 Prozent mehr als im Vorjahr (664). Am Mittwoch hat NRW-Familienministerin Josefine Paul (Grüne) den dritten RIAS-Jahresbericht in Düsseldorf vorgestellt, gemeinsam mit Alexander Sperling, dem Geschäftsführer des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe, und Jörg Rensmann, dem Leiter von RIAS NRW.
Durchschnittlich kam es dem Bericht zufolge 2024 in Nordrhein-Westfalen zu 18 antisemitischen Vorfällen pro Woche. „Insgesamt wurden ein Fall von extremer Gewalt, 18 Angriffe, 22 Bedrohungen, 61 gezielte Sachbeschädigungen, 56 Massenzuschriften, 228 Versammlungen, fünf Diskriminierungen sowie 549 Fälle von verletzendem Verhalten registriert“, erklärte RIAS. Als Fall extremer Gewalt wertete RIAS den Terroranschlag in Solingen vom 23. August 2024.
Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem danach folgenden Gaza-Krieg gibt es laut RIAS NRW eine auffallende Zunahme. Seitdem seien die Zahlen auf konstant hohem Niveau. Die meisten Vorfälle würden im öffentlichen Raum geschehen.
Integrationsministerin Paul sprach von der gemeinsamen Verantwortung für die Sicherheit der Jüdinnen und Juden. Sie sähen sich „zunehmend mit einer neuen Lebensrealität konfrontiert“. Der Antisemitismus sei in der Mitte der Gesellschaft verwurzelt. Für die Ministerin ist das „erschreckend und schwer erträglich“. Die Landesregierung werde alles dafür tun, dass sich Juden in NRW sicher fühlen. „Jüdische Menschen gehören selbstverständlich dazu. Sie sollen frei von Hass leben können“, sagte sie.
Unbeschwertes jüdisches Leben sei fast nur noch in geschützten Räumen möglich, erklärte der Geschäftsführer des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden, Sperling. Den Sicherheitsbehörden sei es zu verdanken, dass es nicht noch schlimmer komme. Die große Mehrheit der Bevölkerung würde Antisemitismus verurteilen.
Auch er betonte den Einschnitt des 7. Oktober 2023. „Die Botschaft der Hamas-Terroristen ist eindeutig: Wir werden nicht innehalten, bis alle Juden tot sind“, unterstrich Sperling. „Viele Juden haben die Kraft, Antisemitismus zu ertragen, überhaupt erst aus der Existenz des Staates Israel geschöpft.“ Das Leid der Palästinenser in Gaza sei schrecklich. „Aber wie einfach wäre es, dieses Leid zu beenden: Wenn die Hamas die Geiseln freilassen und die Waffen niederlegen würde.“ Israels Politik sei „hochgradig schwierig“, aber durch die Hamas werde sie noch schwieriger.
Nach Worten von Jörg Rensmann ist der Antisemitismus mit Bezug auf Israel die häufigste Erscheinungsform. Der Staat Israel sei ein Vorwand für Angriffe auf die Erinnerung an die Shoa, den Massenmord der Nazis an den Juden. Das israelische Regierungshandeln werde mit der NS-Vernichtungspolitik gleichgesetzt: „Das bedeutet, die Opfer von damals zu Tätern zu machen“, betonte er.