Von Andrea von Fournier
„Wir_brau_chen … Wir brauchen_Na, Na … Wir brauchen Nägel.“ – „Sehr schön!“, lobt Eva Heldmann den Vorlesenden am Tisch. „Weißt Du auch, was Nägel sind?“, schiebt sie fragend nach. Der junge Mann neben ihr überlegt kurz. Er hat keine treffenden Synonyme für „Nägel“ parat. Dafür hält er mit der einen Hand zwischen Daumen und Zeigefinger etwas kleines Imaginäres hoch, auf das er mit der anderen Hand ordentlich draufschlägt.
Klar, Moraf* kennt Nägel ganz genau. Lesen und Schreiben muss der junge Mann aus Syrien aber noch lernen. Deshalb sitzt er heute mit gut einem Dutzend anderer im „Sprachcafé“ von „weltweit“, einer Initiative von 50 ausschließlich ehrenamtlich Tätigen innerhalb von „Asyl in der Kirche Berlin-Brandenburg e.V.“.
40 Sprachcafés gibt es inzwischen in ganz Berlin. Manche Ehrenamtler haben bereits unterrichtet, sind pensionierte Lehrer, andere wollen einfach nur helfen, damit Sprachbeherrschung und Alltagsbewältigung in Deutschland für Neuankömmlinge erleichtert wird. Wie Eva Heldmann, die eigentlich Filme macht, seit drei Jahren aber auch mit Interesse, Geduld und Zugewandtheit an der Sprach- und Lesekompetenz der Cafébesucher arbeitet.
In der Kapelle der St. Simeonkirche, der sogenannten Flüchtlingskirche nahe der Kreuzberger Prinzenstraße, treffen sich vor allem Geflüchtete, überwiegend aus dem Nahen Osten und Afrika, aber auch mal Italiener oder eine Brasilianerin, die Deutsch lernen wollen. „Für uns ist es nicht wichtig, weshalb jemand herkommt. Wir versuchen, in einer lockeren, angstfreien Umgebung unsere Sprache zu vermitteln“, sagt Gesa Preuße, Gründungsmitglied von „weltweit“, die mit Mona Möller gemeinsam die Fäden für die Koordinierung des Standortes „Flüchtlingskirche“ in der Hand hält.
Im Laufe des Gespräches wird klar, dass die beiden Frauen und die vielen anderen freiwilligen Helferinnen und Helfer ihre Aufgabe fast immer komplexer annehmen, als nur das Sprechen oder Lesen zu vermitteln. Moraf ist seit vier Jahren in Deutschland. Er lebt in einem Spandauer Heim und war bereits in den Genuss der öffentlich finanzierten Sprachlernangebote gekommen. Die allgemeinsprachliche A2-Prüfung wurde sein Stolperstein. Ohne bestandene Prüfung konnte das Jobcenter ihn nicht weiterfördern.
Das Sprachcafé hilft nicht nur beim Spracheüben
Da kommt „weltweit“ ins Spiel, von dem ein Freund Moraf berichtete. Der junge Mann suchte den Kontakt. „Wir merkten schnell, dass Moraf gut sprechen kann. Doch er kann weder Arabisch noch Deutsch lesen und schreiben. Das bedeutet, dass er erst mal einen Alphabetisierungskurs braucht“, erklärt Mona Möller. Den fanden die ehrenamtlichen Helferinnen schließlich und kümmerten sich darum, dass der junge Mann daran teilnehmen kann, um aufzuholen, was er als Kind versäumt hat. Davor standen schwierige, aber schließlich erfolgreiche Gespräche mit Ämtern.
In den Alphabetisierungskursen vermisst Moraf den Kontakt mit Deutschen, deshalb kommt er gern einmal in der Woche ins Sprachcafé. Viele haben hier wie er einen Betreuer, der sich besonders kümmert. Und weil für Eva Heldmann der Beruf auch Berufung ist, ist nun eine „Filmgruppe“ in der St. Simeonkirche in Planung. Auch da will der junge Syrer mit dabei sein.
Wie viele Helfer und Besucher zum Café kommen, wissen Mona Möller und Gesa Preuße vorher nie genau. Sie kochen Kaffee und Tee, andere backen Kuchen oder Kekse. Moraf hilft beim Stühle aufstellen und ist für den Müll verantwortlich. Dass das Gespräch am großen Tisch gerade auf Deutsch geführt wird, gebrochen und gestikulierend, freut die beiden Frauen aufrichtig. „Wir machen das hier wirklich gern“, sagen sie. Alle Ehrenamtlichen fühlen sich bestätigt, weil ihre Arbeit gerade mit dem Ökumenepreis des Ökumenischen Rates und des Internationalen Konvents Christlicher Gemeinden in Berlin und Brandenburg gewürdigt wurde.
* Namen von der Redaktion geändert