Es ist leider schon zur Binsenwahrheit geworden: dass es im Heiligen Land sehr unheilig zugeht. Die Nachrichtenlage ist schlecht. Der Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern stockt. Auf beiden Seiten scheinen die Scharfmacher das Sagen zu haben. Und die Religion, so will man meinen, dient in dem Konflikt eher als Brandbeschleuniger denn als Friedensstifter.
Doch es lohnt sich, den Blick einmal wegzulenken von der Nachrichtenlage und zu schauen, was sich jenseits der Eskalation in diesem besonderen Land tut. Da stößt man zum Beispiel auf den deutschen Benediktinermönch Nikodemus. Er hat sich mit 24 Jahren nicht nur für das Mönchsein, sondern auch für ein Leben im Benediktinerkloster „Dormitio Abtei“ auf dem Jerusalemer Zionsberg entschieden. In seinem Buch „Zuhause im Niemandsland“ erzählt der heute 38-Jährige davon – und von den vielen kleinen Begegnungen und Situationen, die eine neue Sicht eröffnen. Ganz entgegen der gängigen Klischees berichtet Nikodemus, der zur Zeit als Prior-Administator – eine Art Interims-Abt – der Gemeinschaft fungiert, von viel Nähe, Herzlichkeit und Solidarität zwischen den Vertretern der drei abrahamitischen Religionen. Nach der Lektüre dieses Buches keimt eine leise Zuversicht auf: dass doch noch nicht alle Wege zum friedlichen Miteinander im Heiligen Land verbaut sind. Und dass es in diesem Konflikt nicht nur ein Schwarz-weiß-Bild gibt.
Eine Sichtweise „pro Mensch“
Denn bisweilen fühlt man sich ja als Christ in Deutschland dazu gedrängt, entschieden Partei für eine Seite zu ergreifen: für Israel oder für die Palästinenser. In beiden Fällen lautet das Hauptargument, man müsse klar und deutlich an der Seite der Opfer stehen. Pater Nikodemus verwischt diese scharfen Grenzziehungen auf erfrischende Art. Er erzählt ganz konkret vom Leid und den Ängsten beider Parteien des Konflikts und weckt Mitgefühl mit den Opfern beider Seiten. So formuliert er auch gleich am Anfang den Zweck seines Buches: dass er zu einer Sichtweise einladen will, die weder proisraelisch noch propalästinensisch, sondern pro Mensch sei.
Dabei wäre es auch für Nikodemus nicht schwer, in Resignation oder gar Hass zu verfallen. Denn das aufgeheizte Klima in Jerusalem richtet sich auch gegen Christen. Es geschehe oft, dass er auf seinen Wegen durch Jerusalem von ultraorthodoxen Juden angespuckt werde, schreibt Nikodemus. In seiner Mönchskutte sei er ein wandelndes Feindbild für die strengreligiösen Juden, die Jerusalem für sich allein beanspruchen. Auch die Klostermauern werden regelmäßig mit feindseligen Sprüchen wie „Tod den Christen“ beschmiert. Teile der Schwesterkirche am Ort der Brotvermehrung am See Genezareth wurden sogar durch einen Brandanschlag vor zwei Jahren zerstört.
„Die Kirchen von Jerusalem sind momentan auf dem besten Weg, wieder eine Kirche unter dem Kreuz zu werden“, schreibt Nikodemus. Er sieht genau darin seine Aufgabe: ein Zeichen der Liebe zu setzen inmitten des Hasses. „Wenn wir angegriffen werden, weil wir Christen sind, wollen wir darauf auch wie Christen reagieren, nämlich mit der Bereitschaft zur Versöhnung“, schreibt er. Deshalb bauen sie keine Sicherheitszäune um ihre Kirchen, sondern bleiben offen und gastfreundlich.
Und wie durch ein zweites Vermehrungswunder konnten mittlerweile ausreichend Spenden zusammengetragen werden, um den hohen Sachschaden an der Brotvermehrungskirche zu beheben. Israels Staatspräsident Reuven Rivlin sagte bei der Wiedereröffnung des Klosters Tabgha am vergangenen Wochenende: Das sei ein Zeichen dafür, dass der Hass nicht gesiegt hat.
Suche nach Gott, nicht nach Identität
Genau daran möchte Nikodemus mitwirken. Er wünscht sich, dass nicht die Radikalen das Erscheinungsbild einer Religion prägen. Es sei wie beim Fußball, wo man zwischen Fans und Hooligans unterscheiden müsse. Jeder, der im Namen welcher Religion auch immer als Gewalttäter oder Scharfmacher auftrete, habe nichts mit der eigentlichen Religion zu tun. „Wahre Religiosität, die Gott sucht, schenkt nämlich den demütig realistischen Blick, dass der andere genauso geliebt ist wie ich selbst.“ Nikodemus zufolge gehe es bei der Religion um Gott- und nicht um Identitätssuche. Also sei nicht die Abgrenzung zu den anderen entscheidend, sondern die Leidenschaft einer persönlichen Gottesbeziehung.
Genau diese Leidenschaft des Glaubens legt Nikodemus an den Tag. Sogar die Gründung einer eigenen Familie hat er dafür geopfert. Immer wieder wird er deshalb von jüdischen Gläubigen angefragt: Warum folgt er nicht dem Vermehrungsgebot der Bibel? Nikodemus antwortet dann: „Wir glauben wie ihr ja an ein Leben bei Gott nach dem Tod. Dann werden wir nicht mehr heiraten oder verheiratet sein. Gott allein genügt dann in jeder Hinsicht. Wir Mönche leben hier auf Erden schon so, als ob wir im Himmel wären.“ Und wie auch der Zionsberg, auf dem sein Kloster steht, zum biblischen Symbol der endzeitlichen Völkerzusammenkunft ist, glaubt Nikodemus an das Miteinander der Menschen und Völker. „Wahrscheinlich ist dies der Königsweg jeglicher Friedensbemühungen: den anderen, den Fremden, vor allem als Mitmenschen zu sehen. Und der Königsweg aller Kriegstreiber ist wohl die Dehumanisierung des anderen, des Fremden, dem man sein Menschsein abzusprechen und in ihm ein Monster zu sehen versucht.“
Doch nicht die dauernde Umarmung und demonstrative Nähe der verschiedenen Religionen und Völker sei der Weg zum Frieden. Es käme auf die große Kunst an, aneinander vorbeizuleben. Genau dafür gebe der Alltag in Jerusalem eigentlich ein sehr gelingendes Beispiel. Dieses Buch ist endlich einmal keine Hiobsbotschaft aus dem Heiligen Land.