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Magenta TV widmet sich den deutschen “Fußballwundern”

Kurz vor dem Start der Fußball-EM soll eine opulente Doku über die Nationalmannschaft die TV-Zuschauer auf das Turnier in Deutschland einstimmen. Dabei verdribbeln sich die Macher allerdings ein wenig.

Natürlich Andy Brehme. Der kürzlich gestorbene WM-Held von 1990 ist gleich zu Beginn der Doku “Fußballwunder: Von Bern bis Berlin” zu sehen, wie er im Olympiastadion von Rom zum entscheidenden Elfmeter gegen Endspielgegner Argentinien antritt. Mit einem satten Schuss ins linke Eck katapultierte Brehme das gerade wiedervereinigte Deutschland in den Fußballhimmel. Ein magischer Moment in der deutschen Fußballgeschichte. Und von denen lässt Manfred Oldenburgs 90-Minüter kaum einen aus.

Abrufbar ist der Beitrag bei Magenta TV. Der Streamingdienst der Telekom hat sich die Übertragungsrechte für die in Kürze startende Europameisterschaft gesichert. Gegen Ende und relativ überraschend wechselt Oldenburg Turnierdirektor Philipp Lahm und DFB-Vize Celia Sasic für längere Statements ein. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Handwerklich präsentiert sich “Fußballwunder” auf der Höhe der Zeit. Die historischen Aufnahmen kommen erstaunlich frisch daher, Schnitt und Erzähltempo stimmen. Unvermeidlich für solche Produktionen scheint inzwischen ein extrem langes Intro zu sein mit einer Collage aus Bildern und O-Tönen. Ärgerlicher ist die bombastische Musik, die sich wie Zuckerguss über beinahe jede Szene legt. Ein Signal für den weniger empathiesensiblen Fußballfreund: Obacht, jetzt wird’s dramatisch!

Aus der Tiefe des Raums sprechen Günter Netzer oder Toni Schumacher zum Publikum, dazu inzwischen gestorbene Fußballgrößen wie Ottmar Walter, Uwe Seeler oder Bernd Hölzenbein. Aktuelle Statements liefern beispielsweise die TV-Reporter Marcel Reif und Bela Rethy oder “Bild”- und “Welt”-Sportchef Matthias Brügelmann. Zu Wort kommen auch die Philosophen Gunther Gebauer und Wolfram Eilenberger.

Neben Celia Sasic erhält Torhüterin Almuth Schult als einzige Frau einen Gastauftritt. Männerdomäne Fußball. Dafür geizen die Herren der Schöpfung nicht mit Platitüden. “Ich glaube, die Nationalmannschaft ist das allerletzte große Lagerfeuer, das wir in Deutschland noch haben”, weiß Sportjournalist Brügelmann. “Wenn eine Nationalmannschaft in einem Finale steht, dann steht sie im weltweiten Fokus”, sekundiert Marcel Reif.

Gemäß Sepp Herbergers Erkenntnis “Der nächste Gegner ist immer der schwerste” arbeitet sich Regisseur Oldenburg weitgehend chronologisch durch die jüngere Fußballgeschichte: vom ersten Länderspiel nach dem Zweiten Weltkrieg am 22. November 1950 in Stuttgart gegen die Schweiz vor der rekordverdächtigen Kulisse von 103.000 Zuschauern bis hin zum vierten WM-Triumph 2014. “In der Mannschaft spiegelt sich die Geschichte, Mentalität und Seele unseres Landes”, heißt es gleich zu Beginn der Doku.

Zwangsläufig wird manches nur angetippt, etwa die unrühmliche Rolle des DFB in den vielen Debatten und Affären um die Nationalelf. Grundsätzlich ist das Bestreben erkennbar, auch dunkle Flecken auszuleuchten. Doch oft fehlt dann die letzte Konsequenz. Ein Beispiel: Die WM 1978. Im Gastgeberland Argentinien hatte sich zwei Jahre zuvor das Militär an die Macht geputscht. Längst machten Nachrichten über willkürliche Verhaftungen, Folter und Morde die Runde.

Spieler wie Erich Beer ließ das offenbar kalt, wie ein eingeblendetes Zitat belegt: “Ich habe ja auch kein schlechtes Gewissen, für 200 Mark zu essen, und in Indien hungern welche.” Der DFB empfing stattdessen Nazi-General Hans-Ulrich Rudel im Trainingslager. Bela Rethy und die Philosophen Gebauer und Eilenberger ordnen das Geschehen zwar kritisch ein. Aber wieviel interessanter wäre es gewesen, dazu Berti Vogts zu befragen, der seinerzeit zu Protokoll gab: “Argentinien ist ein Land, in dem Ordnung herrscht. Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen.”

Stattdessen folgt ein kurzer Schlenker zur WM-Vergabe an Katar – nach Argentinien und Russland 2018 ein weiteres Gastgeberland mit einer “problematischen Menschenrechtssituation”. Chance vertan; ein Pfostenschuss sozusagen. Vielleicht ist das aber auch zu viel verlangt von einer Dokumentation, die den Weg der deutschen Nationalmannschaft im Wesentlichen als Erfolgsstory erzählen will, inklusive dem 7:1 über Brasilien 2014, das Bela Rethy seinerzeit mit einem entgeisterten “Was geht denn hier ab?!” kommentierte.