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“Lyrik ist eine demokratische Kunst”

Demokratie ist auch in Deutschland eine Gesellschaftsform, die es zu verteidigen gilt, dies wurde nicht zuletzt bei Wahlen in Bund und Ländern deutlich. Demokratinnen und Demokraten hätten angesichts lauter werdenden „Geschreis von Rechts“ lange Zeit geschwiegen, sagt der evangelische Theologe Thomas Weiß aus Baden-Baden. Mit der Anthologie „Gespräche über Bäume. Gedichte zur Demokratie“, der im Frühjahr 2025 beim Alfred Kröner Verlag (Stuttgart) erschienen ist, will der Mitherausgeber ein Zeichen setzen. 70 Autorinnen und Autoren haben für den Band Gedichte geschrieben, manche davon bislang unveröffentlicht. Mit ihren Texten setzen sie sich ein gegen Gewalt, Hass, Krieg, verdorbene Sprache, gesellschaftliche Spaltung. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) äußerte sich Weiß zum politischen Potenzial, das in Lyrik steckt.

epd: Herr Weiß, was war der Anlass für das Buch?

Weiß: Konkret waren das die Demonstrationen gegen Rechts, die im Frühjahr 2024 bundesweit stattgefunden haben. Ich war persönlich auch auf solchen Demonstrationen und habe gesehen, da gibt es die Omas gegen Rechts, es gibt die Lehrer und Lehrerinnen gegen Rechts, und da habe ich mich gefragt, wo sind die Lyriker und Lyrikerinnen gegen Rechts? Ich bin selbst Schriftsteller und Lyriker, da lag es nahe, meine eigene Profession zu befragen.

epd: Gedichte werden nicht gelesen, wie man die Bild-Zeitung liest. Was können Gedichte besser als eine pointierte Schlagzeile?

Weiß: Einmal ist Lyrik eine sehr vielfältige Form von Kunst. Es gibt viele Möglichkeiten, Positionen kompakt auszudrücken. Weiter brauche ich, um Lyrik zu verstehen, das Gespräch. Lyrik sagt nie alles. Wenn ich ein Gedicht schreibe, gebe ich es aus der Hand und fordere meine Leserinnen und Leser auf, ihre eigenen Gedanken dazu zu entwickeln, sodass immer ein Gespräch stattfindet. Also ist Lyrik eine sehr demokratische Kunst. Schließlich erzählt Lyrik in einer kurzen Form große Geschichten. Nora Gomringer etwa hat auf zwei Seiten die Verschickung von Juden und Jüdinnen nach Auschwitz aufgeschrieben, was da passiert sein mag an Erstaunen, an Entsetzen, an Bedrängnis. Da ist Lyrik eine Form, die unglaublich emotional und intuitiv auf Themen zugreift.

epd: Sie sind viel mit der Anthologie unterwegs, in Leipzig auf der Buchmesse, in Baden-Baden, in der Landesvertretung von Baden-Württemberg in Berlin, am 11. Mai im Kunstverein Wilhelmshöhe Ettlingen. Wie ist die Resonanz auf Ihr Buch?

Weiß: Die Autorinnen und Autoren machten schon beim Sammeln deutlich, dass sie froh waren, ein Forum zu bekommen, um sich gesellschaftspolitisch verorten zu können. Wir leben nun gerade in einer Zeit, in der es notwendig ist, Position zu beziehen. Demokratie ist längst nichts Selbstverständliches mehr. Sie muss verteidigt, wahrgenommen, gefühlt werden. Da hilft so eine Anthologie sicher, indem sie zum Assoziieren, Nachdenken und emotionalen Begleiten anregt.

epd: Sie wissen um das Privileg, dass Sie hierzulande politische Gedichte veröffentlichen dürfen. Auch das ist nicht selbstverständlich. Wie geht es Ihnen, wenn Sie einen Gedichtband zur Demokratie präsentieren dürfen, während in anderen Ländern Kolleginnen und Kollegen verfolgt werden?

Weiß: Als PEN-Mitglied bin ich mir dessen sehr bewusst. Wenn man diese Geschichten hört, wird man sehr demütig, in dem Wissen, wie leicht wir es hier haben, unsere Meinung auszudrücken. Das gibt uns auch eine Verantwortung, uns sehr deutlich einzusetzen dort, wo Menschenwürde gefährdet ist. Das ist tatsächlich auch in unserem Land der Fall. Es gibt die rechten Verlage, die Rechtspopulisten, die sich in Büchern und Artikeln äußern. Dagegen ist so ein Buch wie diese Anthologie auch ein Stück Widerstand. Die Anthologie ist denen gewidmet, die hier im Exil leben und denen, die in ihrem Land als Schriftstellerinnen und Schriftsteller verfolgt werden. Es ist ein Ausdruck von Solidarität. (1039/07.05.2025)