„Ich habe die großen Massenideologien unter meinen Augen wachsen und sich ausbreiten sehen…, vor allem jene Erzpest, den Nationalismus, der die Blüte unserer europäischen Kultur vergiftet hat.“ Kaum zu glauben, dass diese zeitkritische Analyse vor einem dreiviertel Jahrhundert entstand. Der Schriftsteller Stefan Zweig umschrieb damit die politische Lage im frühen 20. Jahrhundert, zu deren Opfer er selbst wurde. Zu Papier brachte der Autor jüdischer Herkunft die Worte 1941, wenige Monate, bevor er sich am 22. Februar 1942 im brasilianischen Exil das Leben nahm. Auch 75 Jahre nach seinem Tod fasziniert Zweig als Literat und hellsichtiger Chronist seiner Epoche.
„Machtloser Zeuge des Rückfalls in Barbarei“
Stefan Zweig wurde am 28. November 1881 in Wien als ältester Sohn einer jüdischen Unternehmerfamilie geboren. Schon als Gymnasiast schrieb er Gedichte. Auch entwickelte er ein großes Interesse an allem künstlerischen Treiben, an dem im Wien des Fin de Siècle kein Mangel war („fin des siècle“, französisch für „Ende des Jahrhunderts“ bezeichnet eine künstlerische Bewegung um die Jahrhundertwende vor dem Ersten Weltkrieg, die den kulturellen Verfall zum Objekt machte, Anmerkung der Redaktion).
Erste Begegnungen mit Persönlichkeiten wie Hofmannsthal und Rilke legten die Grundlage für Zweigs Freundschaften, die er lebenslang und über Ländergrenzen pflegte. Nach dem Abitur 1899 studierte er in Wien Germanistik und Romanistik; mit 23 promovierte er mit einer Arbeit über „Die Ursprünge des zeitgenössischen Frankreich“.
Erste Prosa veröffentlichte Zweig 1904. Novellen wie „Brennendes Geheimnis“, „Amok“ oder „Verwirrung der Gefühle“, die Theaterstücke „Tersites“ und „Jeremias“ machten ihn bekannt. Dazu trugen auch seine subtile psychologische Sichtweise und sein spannender Erzählstil bei. Auch Biographien etwa von dem französischen Pazifisten Romain Rolland, mit dem er befreundet war, von Maria Stuart, Magellan oder Balzac und die Miniaturen „Sternstunden der Menschheit“ festigten seinen Weltruf. Für die Oper „Die schweigsame Frau“ von Richard Strauss schrieb er das Libretto. Zweigs Texte sind in zahllose Sprachen übersetzt. Sie wurden als Opern vertont oder verfilmt, manche mehrfach in verschiedenen Jahrzehnten.
Sein autobiographisches Buch „Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers“ erschien erst Ende 1942 posthum. Doch wer ein plastisches Bild Europas an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, von künstlerischen Strömungen und bedeutenden Persönlichkeiten wie Bertha von Suttner, Sigmund Freud oder Walther Rathenau, von politischen Wirrungen hin zu zwei Weltkriegen haben möchte, wird von Zweigs Schilderungen gefesselt sein. „Ich musste wehrloser, machtloser Zeuge sein des unvorstellbaren Rückfalls der Menschheit in längst vergessen gemeinte Barbarei mit ihrem bewussten und programmatischen Dogma der Antihumanität“, schreibt er im Rückblick auf seine 60 Lebensjahre. Doch lebt das rund 500 Seiten starke Buch auch von Anekdoten.
Exil-Stationen: England, New York, Brasilien
So berichtet Zweig, der von 1919 bis 1934 in Salzburg zeitweise fast in Sichtweite von Adolf Hitler wohnte, mit diebischer Freude, „dem zeitweilig mächtigsten Manne der Neuzeit“ Ärgernis bereitet zu haben. Der Grund: die Verfilmung von „Brennendes Geheimnis“ 1933 unter Regie von Robert Siodmak. Den Titel nahm das Publikum als Anspielung auf den Reichstagsbrand vom 28. Februar 1933, den die Nationalsozialisten allzu gerne den Kommunisten in die Schuhe schieben wollten. Die Folge: Solcherlei Hohn und Spott konnten Hitlers Schergen nicht tolerieren; der Film wurde verboten.
Wirklich private Einblicke gewährt Zweig in der „Welt von gestern“ kaum. So sind seine erste Frau Friderike von Winternitz (1882-1971), mit der er von 1920 bis 1938 verheiratet war, und seine zweite Frau Lotte Altmann (1908-1942), die er 1939 im englischen Bath ehelichte und mit der gemeinsam er sich das Leben nahm, nicht namentlich erwähnt. Breit schildert er dagegen seinen schmerzlichen Weg ab 1934 ins Exil nach England, New York und schließlich Brasilien.
„Am Tage, da ich meinen Pass verlor, entdeckte ich mit achtundfünfzig Jahren, dass man mit seiner Heimat mehr verliert als einen Fleck umgrenzter Erde“, schrieb er 1939 in England, als er durch den Zweiten Weltkrieg staatenlos wurde. Zuvor musste er noch erleben, wie die Nazis seine Bücher an den Schandpfahl oder auf den Schei-terhaufen brachten: „Mittelalter war mit einem Mal Trumpf geworden“, kommentierte er bitter.
Auch in Brasilien, wo sich die Zweigs im Sommer 1941 niederließen, fand er nicht zu seiner Mitte. Das Abgeschnittensein von den Freunden in der Heimat, das Leiden am verfallenden Europa trieben ihn in eine schwere Depression und schließlich in den Tod. Seinen wohl größten literarischen Erfolg, die „Schachnovelle“, hat Stefan Zweig selbst nicht mehr erlebt. Sie gehört noch heute in den Lektürekanon vieler Schulen.