Dokumentarisches Essay über eine vielfältige Musikszene, mit der türkische Arbeitsmigranten in den 1960er Jahren auf die Verhältnisse in ihrem deutschen “Gastland” reagierten.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Für die türkischen Arbeitsmigranten, die ab den 1960er-Jahren nach Deutschland kamen, wurde die Musik aus ihrer Heimat schon bald zum Ausdrucksmedium ihrer oft schwierigen Lebensverhältnisse. In unzähligen Liedern erzählten sie von Einsamkeit, Trennung und Fremdheit, von der Arbeit in den Fabriken und dem immer stärker werdenden Rassismus.
Der mitreißende Dokumentarfilm von Cem Kaya von 2022, der auch Kinotipp der katholischen Filmkritik war, rekonstruiert diese Geschichten spielerisch und klug anhand von Archivaufnahmen und Interviews mit damaligen Protagonisten. Er erinnert damit nicht nur an markante Künstler, sondern auch an ein wichtiges, von der Mehrheitsgesellschaft bisher ignoriertes Kapitel türkisch-deutscher Zeitgeschichte.
Sehnsucht, Erschöpfung, Einsamkeit, Traurigkeit, Enttäuschung, Wut: Die Musik, die die Arbeitsmigrantinnen und -migranten seit Anfang der 1960er Jahre aus ihrer türkischen Heimat mit nach Deutschland brachten, zeichnet ein emotional wechselvolles Bild des Lebens im Exil. “Alamanya, Alamanya, mit uns kannst du dich nicht anlegen”, heißt es in einem Lied des Protestsängers Asik Metin Türköz, der als einer der ersten das Leben als “Gastarbeiter” musikalisch dokumentierte.
In seiner Klage erzählt er von den schönen Geschichten, die man über Deutschland hörte, und der Realität, die die gerade Angekommenen in Form eines schlechten Arbeitsvertrags und eines schäbigen Sechsbettzimmers erwartete: “Statt Federn gaben sie mir eine Strohmatratze. Bad und Toilette sind in der Fabrik, sagten sie.”
Lieder wie “Alamanya” und “Mayestero” fanden ein riesiges Publikum, Asik Metin Türköz sang vor 3.000 Arbeitern, seine Platte verkaufte sich drei Millionen Mal. Nur das Land, das in den Liedern gemeint war, wusste davon nichts, wollte davon nichts wissen. Der Filmemacher Cem Kaya hat dieses von der Mehrheitsgesellschaft ignorierte Kapitel türkisch-deutscher Zeitgeschichte in einem Dokumentarfilm-Essay jetzt aufgearbeitet. Er führt damit die Pionierarbeit fort, die Bülent Kullukcu und Imran Ayata mit ihrer 2013 veröffentlichten Compilation “Songs Of Gastarbeiter” begonnen haben.
1961 brachte das Anwerbeabkommen mit der Türkei die ersten Menschen zum Arbeiten nach Deutschland. Der Begriff “Gastarbeiter” stellte von vornherein klar, dass die dringend gebrauchten Arbeitskräfte sich erst gar nicht zu Hause fühlen sollten. Bereits in den Sprachkursen wurde die Markierung als “Andere” festgeschrieben: “Ich bin fremd hier. Ich bin Ausländer.” – “Sie sind nicht von hier?” – “Nein, ich bin fremd hier, ich bin Ausländer.”
Cem Kaya hat sich mit Leidenschaft und Akribie durch die Archive der öffentlich-rechtlichen Sender gearbeitet. Der Film “Liebe, D-Mark und Tod” montiert das Material mit aktuellen Interviews von passionierten Sammlern über die Betreiber eines Berliner Kassettenladens bis hin zu Musikerinnen wie der “Nachtigall von Köln”, Yüksel Özkasap, und dem Baglama-Virtuosen Ismet Topcu zu einem dokumentarischen Essay, der bei aller Dichte einer Fülle an Themen und Menschen Raum gibt.
Die titelgebenden Begriffe Liebe, D-Mark und Tod verleihen dem Film eine lose Struktur und spannen einen Bogen vom Leben in der Fremde über die Entstehung neuer Distributionswege und Märkte (wie Hochzeiten und andere Feiern im großen Maßstab) bis hin zur Entstehung des deutsch-türkischen Hip-Hop der Nachwendezeit – als eine wütende Antwort auf den wachsenden Rassismus und die Welle an Hassverbrechen in den 1990er Jahren (von Hoyerswerda bis Mölln und Solingen).
“Liebe, D-Mark und Tod” ist ein Film der Fülle, des Überschwangs und der Vielfalt, spielerisch, klug und voller Drive. Cem Kaya würdigt musikalische Genres und Stile ebenso wie Arbeiterkämpfe und inzwischen verschwundene kulturelle Orte: etwa den “Türkischen Bazar” an der Berliner Bülowstraße. Dort befand sich neben Teppich- und Imbissläden sowie Geschäften für Tonband- und Videokassetten auch ein “Gazino”, eine Art Bar mit Livemusik.
Als billiges und leicht kopierbares Medium war die Musikkassette untrennbar mit der musikalischen Kultur verbunden. Das in Köln ansässige türkische Musiklabel Türkyola, das 500 bis 600 Künstlerinnen und Künstler unter Vertrag hatte, machte zwei Drittel seines Umsatzes mit türkischen Musikkassetten. Zu kaufen gab es sie in Gemüsegeschäften und Import-Export-Läden, nicht aber in den von Deutschen betriebenen Plattenläden.
Musikerinnen und Musiker wie Cavidan Ünal, die “Diva von Europa”, und Ozan Ata Canani, der wie das Duo Derdiyoklar seine gesellschaftskritischen Lieder zum ersten Mal auf Deutsch sang, kamen auch in der Medienlandschaft nicht vor. In der “Rudi Carrell Show” war “der Türke” gerade mal für einen wohlwollend gemeinten, aber rassistischen Schwank (“Man kommt nur noch weiter durch Gastarbeiter”) gut.