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Letzter Anker

Seit einem Jahr ist die Flüchtlingskirche in Berlin-Kreuzberg fester Bestandteil der Flüchtlingsarbeit.

Seit einem Jahr ist die Flüchtlingskirche in Berlin-Kreuzberg fester Bestandteil der Flüchtlingsarbeit

Von Marina Mai

Ein Kreuz hängt im Eingangsraum der St. Simeon-Kirche in Berlin-Kreuzberg. Darunter liegt eine dicke Bibel zwischen zwei Kerzen. An den einfachen Holztischen daneben sitzen zwei albanische Frauen und eine Familie aus Afghanistan. Sie surfen an ihren Handys im Internet und trinken Wasser. Es gibt WLAN in der Kirche, die seit einem Jahr Berlins Flüchtlingskirche ist. „Als wir vor einem Jahr hier die Flüchtlingskirche einrichteten, wussten wir nicht, wie Menschen anderer Glaubensrichtungen auf das große Kreuz in unserem Hauptraum reagieren würden“, sagt die Leiterin Anke Dietrich. „Aber die Sorgen waren unnötig. Die Menschen sitzen darunter und lernen Deutsch oder treffen Freunde.“ Die Einrichtung der Berliner Flüchtlingskirche geht auf einen Beschluss der Landessynode zurück. „Sie ist Teil eines Gesamtkonzeptes für Flüchtlingsarbeit, für das die Synode eine Million Euro zur Verfügung gestellt hat“, sagt Christoph Heil aus der EKBO-Pressestelle. „Wir verstehen uns aufgrund der biblischen Tradition als Kirche mit Flüchtlingen.“ Außerdem hat die Flüchtlingskirche Mittel vom Land Berlin, der Aktion Mensch und aus anderen Töpfen eingeworben. St. Simeon bietet Deutschkurse für Flüchtlinge an, die aufgrund ihres besonderen Status in staatlich finanzierten Kursen keinen Platz bekommen. Besonders gefragt sind die professionellen Beratungen im Asyl- und Sozialrecht – für viele der letzte Anker. Hier suchen sie Hilfe vor Abschiebungen. Die Kirche bietet Fortbildungen, Supervision und Seelsorge für ehren- und hauptamtliche Flüchtlingshelfer an. Es gibt Freizeitangebote für Flüchtlingsfrauen. Anke Dietrich: „Zu den Beratungsangeboten und Kursen kommen die Menschen aus der ganzen Stadt und aus Brandenburg. Unsere Begegnungsangebote hingegen werden eher von den Flüchtlingen der benachbarten Notunterkunft genutzt.“ Die kämen dann immerhin mal raus aus der Enge, hätten im Café der Flüchtlingskirche, das Anke Dietrich das „Herzstück“ nennt, Ruhe zum Deutschlernen und WLAN für die Kommunikation mit Familienangehörigen, die nicht in Berlin leben.

Die Flüchtlingsarbeit findet neben dem normalen Gemeindeleben statt. Oder besser: mit ihm. Dorothea Schulz-Ngomane, Pfarrerin in der Flüchtlingskirche, sagt: „Wir wachsen aufeinander zu. Die großen mehrsprachigen Gottesdienste, die wir einmal pro Monat feiern, werden von unseren Gemeindegliedern sehr gern besucht.“ Die Mitarbeiter von Gemeinde und Flüchtlingskirche haben gemeinsame Büroräume, die sie zu unterschiedlichen Zeiten nutzen.Eine wichtige Aufgabe der Flüchtlingskirche ist es, in die gesamte Landeskirche hineinzuwirken. Schulz-Ngomane möchte ihr Wissen weitergeben. „Das beginnt mit einem Austausch über Taufkurse, umfasst auch Beratungen in Wohnungsfragen,“ sagt sie. So wirbt sie darum, dass Gemeinden eigenen Wohnraum an Flüchtlinge vermieten. Hier wünscht sie sich durchaus mehr Ideen und Unterstützung. „Wie wäre es, bei Gemeindegliedern für Untermietzimmer für allein stehende Flüchtlinge zu werben?“ Auch Kirchenasylplätze werden im stärkeren Maße benötigt als vorhanden. Die Aufgaben der Flüchtlingskirche gehen nicht zurück, auch wenn derzeit weniger Flüchtlinge in die Region kommen, Leiterin Anke Dietrich, die im Herbst die Flüchtlingskirche verlassen wird, sieht aber veränderte Aufgaben. „Wir müssen von der Willkommenskultur zur Beteiligungskultur kommen. Wenn Flüchtlinge von der normalen Bevölkerung isoliert leben und nur auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten, werden sie lethargisch. Sobald sie aktiv werden, entwickelt sich Erstaunliches.“ Sie berichtet von interkulturellen Imbissangeboten, die Flüchtlinge gegen Spenden anbieten, von Menschen, die ihre handwerklichen Fähigkeiten entfalten, sobald sie eine eigene Wohnung haben. Ideen, wie Kirche dabei helfen kann, hat Dietrich viele. So gehören zu vielen Sprachkursen Praktika, aber es finden sich nicht immer geeignete Praktikumsplätze, in denen Flüchtlinge erstmals außerhalb von Wohnheim und Sprachkurs mit den Menschen vor Ort in Kontakt kommen und zeigen, was sie können. „Wir wäre es, wenn Kirchgemeinden welche anbieten würden?“

Flüchtlingskirche, Wassertorstr. 21a, 10969 BerlinTelefon:?(030)61107096 E-Mail:?info@fluechtlingskirche.de www.fluechtlingskirche.de