GENF–Achtjährige Jungen werden zum Einsatz als Kindersoldaten gezwungen, gleichaltrige Mädchen werden zwangsverheiratet: Millionen von Syrern erleben in ihrer zerfallenden Heimat die Hölle auf Erden. „Es darf uns nicht wundern, dass im fünften Jahr des Bürgerkriegs die Flüchtlinge bis nach Europa kommen“, meint Peter Salama, Regionaldirektor des UN-Kinderhilfswerks Unicef. Zudem fliehen immer mehr Menschen auch aus den Nachbarländern, in denen Helfer kaum noch das Nötigste bieten können.
Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) versorgt 4,25 Millionen Flüchtlinge in Syrien mit Nahrungsmitteln und weitere 1,6 Millionen in den Nachbarländern Libanon, Jordanien, der Türkei, dem Irak und Ägypten. Um das Nötigste zu bewältigen, würden wöchentlich 26 Millionen US-Dollar benötigt, sagt Bettina Lüscher vom WFP. Doch obwohl Syrien derzeit täglich Thema in Politikerreden ist, komme das Geld nicht zusammen. Lüscher: „In Syrien mussten wir die Rationen um ein Viertel kürzen, Lebensmittelgutscheine für Flüchtlinge in den Nachbarländern wurden um die Hälfte gekürzt.“ Das WFP in Syrien lebe von der Hand in den Mund. „Das geht seit Jahren so, und uns gehen langsam die Ideen aus“, klagt Lüscher.
Das meiste Geld kommt aus den USA
Auf umgerechnet 6,6 Milliarden Euro schätzen UN und Hilfsorganisationen den Bedarf, um die Flüchtlinge in und aus Syrien in diesem Jahr mit dem Nötigsten zu versorgen. Vier Monate vor Jahresende ist kaum mehr als ein Drittel der Summe, 37 Prozent, zusammengekommen. Nur wenige Regierungen sind bereit zu helfen. Von den bislang ausgezahlten 2,43 Milliarden kommt fast eine Milliarde aus den USA.
21 der 28 EU-Staaten geben zusammen 800 Millionen, dazu kommen 268 Millionen aus Brüssel. Innerhalb der EU ist die Hilfsbereitschaft sehr unterschiedlich: Großbritannien hat knapp 422 Millionen Euro, Deutschland 200 Millionen Euro beigetragen. Die Slowakei steuert 33 670 Euro bei, während von Estland, Griechenland, Kroatien, Portugal, Rumänien Ungarn und Zypern nichts kommt.
„Die Lebensbedingungen für die Flüchtlinge in den Nachbarländern verschlechtern sich durch die fehlenden Gelder deutlich“, warnt Melissa Fleming vom UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge. Fleming ist gerade von einer Reise in den Libanon zurückgekehrt. „Manche Leute haben mir dort gesagt: Wenn hier noch mehr zusammengestrichen wird, dann gehen wir das Risiko ein, nach Europa zu fliehen – wir haben dann nichts mehr zu verlieren.“
Vier Millionen Syrer leben in Nachbarstaaten
Mehr als vier Millionen syrische Flüchtlinge leben bereits in den Nachbarstaaten. „Das ist zehn Mal mehr, als ganz Europa bislang aufgenommen hat“, betont Unicef-Regionaldirektor Salama. Die immer katastrophaleren Zustände in der Region aber trieben die Flüchtlinge auf die teure und gefährliche Reise nach Europa. Ohne eine europäisch abgestimmte Lösung und eine Perspektive für die Beendigung des syrischen Krieges wird die Zahl der Flüchtlinge vermutlich weiter steigen. Wenn die Lage sich noch verschlimmere, werden die Menschen „mit ihren Füßen abstimmen“, meint Salama.