Berlin/Hildesheim – Mehr Personal und bessere Löhne in der Pflege: Darauf haben sich Union und SPD bei den Koalitionsverhandlungen geeinigt, wie die stellvertretende SPD-Vorsitzende Malu Dreyer mitteilte. Sozial- und Wohlfahrtsverbände reagierten mit Skepsis und weiteren Forderungen. Auch dem Hildesheimer Pflegeschüler Alexander Jorde, der vor der Bundestagswahl in der ARD-Sendung „Wahlarena“ mit seinen kritischen Fragen an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einen Stein ins Rollen gebracht hat, reicht der Kompromiss nicht aus: „Die Politiker von Union und SPD müssen mit den Mini-Korrekturen aufhören und stattdessen einen Neustart in der Pflege wagen“, sagte der 21-Jährige.
Verbände schätzen Zusatzbedarf auf 100 000
Um die Bezahlung von Pflegekräften zu verbessern, soll nach Angaben der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Dreyer der Abschluss von Tarifverträgen erleichtert werden. Bereits in den Sondierungsgesprächen hatten sich die Parteien darauf geeinigt, die Tarifbindung in der Altenpflege zu erhöhen.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz bezeichnete das Versprechen, für gerechte Löhne zu sorgen, als einen „ungedeckten Wechsel der Großkoalitionäre. Denn schließlich ist die Bundesregierung hier kein Tarifpartner.“
Die Diakonie Deutschland nannte die Ergebnisse von Union und SPD „einen kleinen Schritt in die richtige Richtung“. Notwendig sei in der Pflege jedoch eine strukturelle und nachhaltige Lösung. Dringend müsse das große Problem eines älter werdenden Deutschlands angegangen werden. „Eine solche Lösung erfordert nach unseren Berechnungen einen Bedarf von drei Milliarden Euro“, so Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Lilie begrüßte das Bekenntnis von CDU/CSU und SPD für eine angemessene und tarifliche Entlohnung.
Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Peter Neher, betonte im Gespräch mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, die Finanzierung der angekündigten 8000 zusätzlichen Pflegekräfte dürfe zu keiner zusätzlichen Belastung des Eigenanteils der pflegebedürftigen Menschen führen. Auch die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte zu verbessern, gehöre in ein Sofortprogramm Pflege. Die Einigung auf zusätzliche Stellen begrüßte er, sagte aber zugleich: „Die genannten 8000 zusätzlichen Stellen sind jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein und können nur der Anfang sein. Gebraucht werden erheblich mehr Stellen.“
Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband hält die Einigung für „nicht annähernd ausreichend, um den Pflegenotstand wirksam zu beheben“. Der Spitzenverband schätzt den Bedarf an zusätzlichem Personal auf rund 100 000 Pflegekräfte. Diese Zahl langfristig zusätzlich erfoderlicher Stellen nannte auch der Deutsche Pflegerat (DPR) im SWR als notwendig, um eine Trendwende in der Pflegebranche zu bewirken. Der DPR vertritt als Bundesarbeitsgemeinschaft und Dachverband die bedeutendsten Berufsverbände des Pflege- und Hebammenwesens.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband verlangte vor diesem Hintergrund eine weitere Vereinbarung, wie und bis wann 100 000 zusätzliche Pflegekräfte gewonnen und finanziert werden sollen. Außerdem forderte er eine gesetzliche Regelung, dass die Pflegeversicherung künftig grundsätzlich mindestens 85 Prozent der Kosten übernimmt und der Eigenanteil der Pflegebedürftigen maximal 15 Prozent beträgt.