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Krimi um Seniorenresidenzen

Ein Diakonie-Unternehmen hat sich verspekuliert. Heikle Verträge wurden unterschrieben. Jetzt wird vor Gericht versucht, die Geschäfte rückgängig zu machen

„Wird die Miete erhöht und kann ich sie dann noch bezahlen, lange genug? Sind die Darlehen sicher, die wir dem Vermieter beim Einzug gewähren mussten?“ Fragen, die sich die 7400 Bewohnerinnen und Bewohner von bundesweit 23 Seniorenresidenzen der Münchener Augustinum-Gruppe seit Wochen besorgt stellen. Denn der Dia­konie-Konzern, Marktführer im Segment gehobenes Altenwohnen, steht in den Schlagzeilen.
Bei Immobiliengeschäften über 728 Millionen Euro verkaufte er einen Teil der Residenzen und zahlte offenbar drauf, statt die erhofften Gewinne zu machen. Ob und wie der geschätzte wirtschaftliche Schaden von rund 100 Millionen Euro aufzufangen ist, ist noch unklar.

Wohnstifte auch in Nordrhein-Westfalen

Die Bewohnerinnen und Bewohner ahnten davon nichts. Ihnen geht es um einen ruhigen Lebensabend in gediegener Atmosphäre. Um sich den leisten zu können, haben viele von ihnen ihr Haus verkauft. Wegen der Augustinum-Deals ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft München I, die auch Uli Hoeneß vor Gericht brachte.
„Natürlich erfüllt uns das mit Sorge, was da in München los ist. Es dreht sich ja um Millionen, aber das innere Leben des Augustinum wird davon nicht berührt“, sagt Karlheinz Sternkopf. Der Alltag mit viel Programm, Läden im Haus, hohen Standards und breitem Kulturangebot laufe wie gewohnt weiter. Der 87-Jährige ist einer der 230 Bewohnerinnen und Bewohner im Augustinum im grünen reichen Süden von Dortmund, direkt am Wald der Bittermark gelegen. Er zog nach dem Tod seiner Frau hier ein.
Für ihn der richtige Schritt, sagt er – aber nicht billig: Zwischen 1500 und 4100 Euro monatlicher Grundmiete kosten die Appartements je nach Größe, für Zusatzleistungen kommt noch einiges dazu. Sternkopf fürchtet aber nicht, dass die Mieten nun steigen. Er war Chef der Dortmunder Sparkasse und ist gelernter Jurist, kennt sich also aus. Von den Deals erfuhr er erst aus der Süddeutschen Zeitung, die wie die Augustinum-Gruppe ihren Sitz in München hat. Haarsträubend, was er dort las.

Der Ruf hat spürbar gelitten

Augustinum – in NRW mit Häusern in Bonn, Essen, Dortmund und Detmold vertreten – hatte seit 2010 in komplizierten Geschäften 14 seiner bundesweit 23 Seniorenresidenzen verkauft und sie vom Käufer zurückgemietet, sogenannte Sale and lease back-Geschäfte, die als profitabel gelten. Man bekommt aktives Kapital in die Bilanz, kann Mieten als Kosten absetzen und hat noch einige Vorteile mehr. In München leuchteten die Dollarzeichen, doch der Schuss ging nach hinten los.
Ehemalige Spitzenmanager des Konzerns und Käufer machten offenbar bei den Deals gemeinsame Sache und zweigten Millionen ab. Auch die Häuser Bonn, Essen und Dortmund wurden damals verkauft. Pikant sind auch die Dimensionen: Käufer war eine Kleinfirma mit 25 000 Euro Eigenkapital. Damit sie das Geschäft stemmen konnte, brauchte sie einen starken Geldgeber, und das war ausgerechnet die christliche Unternehmensgruppe selber. Sie gewährte der Firma Darlehen über 728 Millionen Euro für den Kauf – und holte sich eine blutige Nase.
Im Mai äußerte sich der Konzern endlich dazu: „Nach heutiger Überzeugung wurden die Immobilien unter Wert veräußert, um im Zuge von Weiterverkäufen Mehrerlöse in Millionenhöhe zu erzielen und zwischen den Beteiligten aufzuteilen. Zudem wurden Gelder – verschleiert durch eine zwischengeschaltete Schweizer Treuhandgesellschaft und fingierte Rechnungen – in illegaler Weise an die Beschuldigten transferiert.“ Aufgefallen war das in der Münchener Zentrale erst nach einem anonymen Brief. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Bestechung und Bestechlichkeit.
Das Augustinum versucht vor Gericht, die Geschäfte rückgängig zu machen. Wie die vielen Verfahren mit hohen Anwaltskosten ausgehen, ist abzuwarten, aber der Konzern verbreitet Zuversicht: „Die gesunde wirtschaftliche Lage ist durch die Vorfälle auch bei maximaler Risikobetrachtung in keinster Weise gefährdet. Auf die Bewohner im Augustinum und den laufenden Betrieb der Wohnstifte haben die juristischen Auseinandersetzungen keinen Einfluss.“
Das ist auch Tenor der Aussagen von Konzernchef Markus Rückert, der seit Bekanntwerden des Skandals mit seinem Geschäftsführer die Augustinen bereist, um die Bewohnerinnen und Bewohner zu beschwichtigen – und dabei zunächst zerknirscht, dann aber wie gewohnt jovial auftritt. Journalisten sagt vom Unternehmen derzeit niemand etwas, wegen der laufenden Verfahren. Karlheinz Sternkopf, in Dortmund auch Sprecher der Hausbewohnerinnen und -bewohner, erwartet, „dass das Augustinum mit den Klagen auf Nichtigkeit der Grundstücksgeschäfte durchkommt“.
Doch der Ruf des Augustinum hat spürbar gelitten. Es ist auf die Auslastung der Häuser angewiesen, in denen wegen der in diesem Alter nur natürlichen vielen Todesfälle fortlaufend Appartments neu zu vermieten sind. Sternkopf merkt es bei Anrufen Bekannter: „Mein Gott, was ist denn da los, kann man denn da überhaupt noch einziehen?“ Das und Ähnliches muss er sich inzwischen oft anhören. Er hat es schwer, das Haus noch als sichere Adresse für den Lebensabend zu empfehlen.
Das Augustinum gehört zum Diakonischen Werk, jedoch nicht der Kirche. Gegründet hat es in den 1950er Jahren ein Pfarrer. Dessen Sohn, Markus Rückert, ist heute Chef. Als Leitbild ließ er festschreiben: „Von christlichen Werten geprägt und gleichzeitig unternehmerisch ausgerichtet“ – was offenbar schiefging. Auch Rückert ist Pfarrer – und Betriebswirt! Angesichts lockender Gewinne hat ihn das aber nicht davor bewahrt, die heiklen Verträge für die Deals zu unterschreiben.