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Konfliktforscher Zick: Bild von Muslimen ist durch Stereotype geprägt

Welche Gefahr geht vom Islamismus bei Jugendlichen aus? Wie geraten sie dort hinein? Und was sollte die Gesellschaft tun? Über diese Fragen sprach der Bielefelder Konfliktforscher Professor Andreas Zick am Montag während der Tagung „Kindheit und Jugend in Krisenzeiten – Gemeinsame Wege in der Islamprävention“ der Jahresveranstaltung des Kompetenzforums Islamismusprävention Niedersachsen. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) warnt er vor steigenden Radikalisierungsrisiken sowie einer wachsenden Polarisierung in der Gesellschaft und fordert mehr Investitionen in politische Bildung und Prävention.

epd: Herr Professor Zick, Ist der Islam an sich demokratiefeindlich?

Andreas Zick: Pauschalurteile helfen nicht weiter. Einen einheitlichen Islam gibt es ebenso wenig wie ein einheitliches Christentum. Politische und islamistische Strömungen aber missachten die Trennung von Religion und Staat oder legitimieren Gewalt. Liberale Muslime vertreten demokratische Orientierungen. Die Islamwissenschaft hat sehr klargemacht, dass sich Demokratiefeindlichkeit oder Gewalt nicht aus dem Koran ableiten lassen. Wenn wir Integrationsprozesse in Deutschland betrachten und den Verlauf der Aneignung von Werten untersuchen, dann stellen wir fest, dass konservative und orthodoxe Muslime, die wenig Berührung zu demokratischen Verhältnissen hatten, immer stärker demokratische Werte vertreten. Das ist auch auf die Integration durch muslimische Vereine, Gruppen und Angehörige zurückzuführen.

epd: Warum herrscht in größeren Teilen der bundesdeutschen Bevölkerung dennoch Unbehagen?

Zick: Das hat historische Ursachen. Viele muslimische „Gastarbeiter“ wurden als Fremde wahrgenommen. Der Islam spielte öffentlich kaum eine Rolle. Moscheen lagen im Hinterhof, religiöse Unterweisung erfolgte häufig durch ausländische Prediger. Das begünstigte Vorurteile. Straftaten oder abweichendes Verhalten von Menschen, die als „nicht zugehörig“ gelten, verstärken solche Stereotype. Und diskriminierte Muslime können das sogar verstärken, wenn sie mit klischeehaftem Verhalten provozieren und sich von der so genannten Mehrheitsgesellschaft separieren. Die grundlegende politische Debatte über die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht, hat sicherlich auch eher Vorurteile und Abgrenzungen bestärkt als Wege der Toleranz eröffnet. Mit den islamistischen Anschlägen ist es immer schwerer geworden, einen toleranten Umgang einzuüben.

epd: Welche Rolle spielen kulturelle Unterschiede, etwa in der Geschlechterfrage?

Zick: Sie prägen das Islambild stark. Einzelne Muslime vertreten ein konservatives Frauenbild, das mit Gleichstellungswerten kollidiert. In Kopftuchdebatten kommen solche Positionen zum Vorschein, unter anderem aus dem politischen Islam. Diese Gruppen werden jedoch in ihrer Bedeutung überschätzt. Junge Muslime zeigen laut Studien keine grundlegend anderen Einstellungen zum Thema als der bundesdeutsche Durchschnitt, und der Alltag unterscheidet sich in Geschlechterfragen kaum. Es geht hier nicht darum, etwas wegzureden, sondern darum, die Debatte um die Nicht-Passung des Islams faktenbasierter zu führen. Leider ist das Bild in der Bevölkerung – selbst jenes der jüngeren Generation, die mit Muslimen großgeworden ist – von Stereotypen geprägt. Angenommen wird, der Islam unterdrücke Frauen, separiere sich von der Mehrheitskultur, neige zum Islamismus und bedrohe „unsere Identität“.

epd: Welche Mechanismen begünstigen Radikalisierung?

Zick: Eine europäische Untersuchung mit inhaftierten Terroristen identifizierte bis zu 300 Faktoren. Islamistische Gruppen sprechen heute besonders psychisch belastete junge Menschen an, die Orientierung und Bindung suchen. Ideologie und Religion folgen oft erst später. Teilweise entstehen auch Jugendgruppen, die sich gegen wahrgenommene Unterdrückung wenden – teils sogar gegen die konservativ- muslimischen Eltern. Zugänge entstehen zudem über Drogenkonsum und -handel sowie Online-Gaming.

epd: Wie groß ist das Potenzial?

Zick: Zahlen helfen nur begrenzt, wenn keine Prävention folgt. Die Behörden gehen von etwa 28.230 organisierten Islamisten aus, ergänzt durch ein schwer einzuschätzendes Unterstützerfeld. Wir können kaum einschätzen, wie viele Einzelne sich islamistisch radikalisieren. Dazu kommen neue ideologische Gruppen, die sich im Zuge des Terrorangriffs der Hamas auf Israel und der Solidarisierung mit den Opfern in Gaza gebildet haben. Ich gehe davon aus, dass sich dabei neue kleine Zellen gebildet haben, die jetzt eine höhere Gewaltbereitschaft als vorher haben.

epd: Welche Bedeutung hat fehlende gesellschaftliche Akzeptanz?

Zick: Das ist ein wichtiger Faktor, denn wenn der ideologische Extremismus Zugehörigkeit, ein Weltverstehen, Selbstwert, Kontrolle über andere und Vertrauen schafft, dann kann er Menschen binden. Anfällig sind insbesondere junge Menschen, die keine Möglichkeit oder Fähigkeiten haben, über Missachtungsgefühle zu sprechen und eventuell von ihrem Umfeld abgewiesen werden. Viele Familien sind sprachlos und werden autoritär, wenn sich ihre Kinder radikalisieren.

epd: Was braucht es, um wachsender Feindseligkeit zwischen Gruppen zu begegnen?

Zick: In unserer letzten Mitte-Studie vom Sommer dieses Jahres, einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, meinten 84 Prozent, die Schulen sollen Vorurteile und Diskriminierung abbauen und 81 Prozent wollen mehr politische Bildung. Abgesehen davon, dass Schulen Vieles sollen, merken wir an den Ergebnissen, dass allen klar ist, dass das Ausmaß an Vorurteilen zu hoch ist. Die Toleranzkultur ist eingebrochen und das feiert der Populismus als Erfolg.

epd: Was können Schule und Jugendarbeit leisten?

Zick: Vieles wird bereits getan, doch es gibt Überlastung und zu geringe Kapazitäten. Insgesamt ist für die Prävention und Intervention noch Luft nach oben. Der Rechtsextremismus ist wieder viel jugendlicher geworden, es hat ein Generationenwechsel stattgefunden. Das ist eine enorme Gefahr. Zugleich haben sich junge Menschen vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts radikalisiert. Es lohnt sich zu investieren, gerade jetzt. Und da Extremismusprävention in Deutschland eng verbunden ist mit Demokratiestärkung können auch junge Menschen, die nicht anfällig sind, viel lernen.