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Kommission rät zu Liberalisierung des Abtreibungsrechts

Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission empfiehlt eine Reform des Abtreibungsrechts in Deutschland. In ihrem am Montag in Berlin vorgestellten Bericht rät das Gremium, Abtreibungen im frühen Stadium der Schwangerschaft zu erlauben und nicht mehr im Strafrecht zu regulieren. Für späte Schwangerschaftsabbrüche empfiehlt sie, am Verbot festzuhalten. Ob die Bundesregierung oder der Bundestag noch in dieser Wahlperiode eine Reform angehen, blieb zunächst offen.

Bislang gilt, dass Abtreibungen grundsätzlich rechtswidrig, in einer bestimmten Frist und nach Beratung aber erlaubt sind. Die Rechtswidrigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen sei nicht haltbar, sagte die Koordinatorin der für das Thema zuständigen Arbeitsgruppe der Kommission, die Rechtsprofessorin Liane Wörner. Die Kommission begründet ihre Empfehlung mit der Abwägung der widerstreitenden Rechte bei Schwangerschaftsabbrüchen: Während sie im frühen Stadium das Recht der Frau auf Selbstbestimmung stärker ausgeprägt sieht, überwiege in der Spätphase einer Schwangerschaft eher das Lebensrecht des Ungeboren.

Die Spätphase beginnt für die Kommission mit dem Zeitpunkt, ab dem der Fötus außerhalb des Mutterleibs lebensfähig ist, also etwa der 22. Schwangerschaftswoche. In der mittleren Phase sieht die Kommission den Gesetzgeber in der Pflicht zu definieren, was unter welchen Voraussetzungen erlaubt ist. In jeder Phase fordert die Kommission ein Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch, wenn die Frau gesundheitlich gefährdet oder Opfer eine Vergewaltigung ist. Eine Beratungspflicht hält die Kommission weiter für denkbar, sieht sie aber nicht als Muss.

Vor einem Jahr hatte die Bundesregierung die Kommission überwiegend mit Wissenschaftlerinnen aus Recht, Medizin, Ethik und Sozialwissenschaften berufen, um unter anderem die sensible Frage einer Reform des Abtreibungsrechts diskutieren zu lassen. In allen drei Ampel-Parteien gibt es Befürworterinnen einer Herauslösung der Regelung aus dem Strafrecht, die zunehmend als Stigmatisierung von Frauen betrachtet wird.

Die drei zuständigen Kabinettsmitglieder Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) ließen am Mittwoch offen, ob sie in dem verbleibenden Jahr bis zur nächsten Bundestagswahl die vorgeschlagene Reform noch angehen. Es sei noch zu früh, Konsequenzen aus dem Bericht zu formulieren, sagte Buschmann. Lauterbach versprach einen „geordneten Prozess“, um das Thema zu diskutieren. Paus, die sich in der Vergangenheit bereits für eine Regelung außerhalb des Strafrechts ausgesprochen hatte, mahnte eine sachliche Debatte an.

Eine Reform des Abtreibungsrechts könnte auch vom Bundestag angestoßen werden. Bei ethisch umstrittenen Themen ist das sogar üblich. Aus den Reihen der Grünen erneuerten die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Maria Klein-Schmeink und die frauenpolitische Sprecherin Ulle Schauws am Montag ihren Wunsch nach einer „differenzierten Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuchs“. Aus den Reihen der SPD erklärte die Abgeordnete Leni Breymaier, das aktuelle Schutzkonzept habe sich nicht bewährt. Auch sie forderte Alternativen zur Regelung im Strafrecht.

Widerstand gegen eine Änderung der jetzigen Rechtslage kommt aus der Union. Es gebe schon heute die Möglichkeit, straffrei abtreiben zu können, sagte Dorothee Bär (CSU) dem Sender ntv. Es gehe auch darum, das ungeborene Leben zu schützen. Kritik ernten die Empfehlungen auch bei katholischer Kirche und ihr nahestehenden Organisationen. Die katholischen Bischöfe bezeichneten die Empfehlungen als einseitig. Eine Relativierung, Einschränkung oder Abstufung des Grundrechts auf Leben halte man für falsch, erklärten sie.

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hatte dagegen in einer Stellungnahme für die Kommission im Oktober ebenfalls für eine teilweise Streichung des Abtreibungsverbots aus dem Strafrecht plädiert, was in der evangelischen Kirche für eine kontroverse Debatte sorgte. Eine Sprecherin der EKD verwies am Montag auf eine interne Arbeitsgruppe, die die ethischen Aspekte einer möglichen Änderung der Rechtslage nun nochmals berät.