Als Cemal Altun im Sommer 1983 aus dem sechsten Stock des Verwaltungsgerichts in Berlin sprang, ahnte niemand, was diese Verzweiflungstat auslösen wird. Altun war politischer Flüchtling, die Türkei forderte seine Auslieferung. Er wählte den Tod.
Der Schock rüttelte Menschen in Deutschland auf und führte wenige Wochen später in Berlin zum ersten Kirchenasyl, zur zeitlich befristeten Aufnahme eines Schutzsuchenden in kirchlichen Räumlichkeiten. Andere Gemeinden schlossen sich an. Die vielen Ehren- und Hauptamtlichen, die seitdem Asylsuchende begleitet, für sie eingekauft und sie beraten haben, können heute stolz sein, dass in 40 Jahren einige tausend von Abschiebung bedrohte Menschen ein Bleiberecht oder zumindest ein faires Verfahren bekommen haben.
Wenn Bürokratie Fehler macht
Tempel und Kirchen boten einstmals Schutz für Verfolgte. Diese Art von Asylrecht an heiligen Orten verschwand, als sich moderne Rechtsstaaten bildeten. Aber was, wenn der Staat seiner Schutzfunktion nicht gerecht wird? Oder jemand innerhalb der Bürokratie einen Fehler macht, der für andere unzumutbare, vielleicht lebensbedrohliche Folgen hat?
Genau darum geht es beim Kirchenasyl. Es schafft Zeit, Rechtsmittel auszuschöpfen und Schutzbegehren zu überprüfen. Dafür treten Gemeinden mutig ein.
Innerhalb der Europäischen Union regelt das Dublin-Abkommen, dass für ein Asylverfahren das Land zuständig ist, in dem ein Flüchtling Europa erreicht. Die Praxis der Asylverfahren und der Umgang mit Schutzsuchenden ist in den Ländern allerdings sehr unterschiedlich. Es gibt Berichte über Gewalt durch Militär und Polizei sowie über illegale Zurückweisungen an den Grenzen, etwa in Griechenland und Polen. Hier zeigt sich, was schiefläuft: Die EU schafft es nicht, sich auf eine gemeinsame Asylpolitik zu verständigen.
In Deutschland gab es immer wieder Konflikte um das Kirchenasyl. Während seiner Amtszeit als Bundesinnenminister kritisierte etwa Thomas de Maizière – Präsident des Evangelischen Kirchentages im Juni – das kirchliche Engagement. Der Hauptvorwurf lautet, die Kirche stelle sich mit dem Asyl über das Gesetz. Genau das aber tut sie nicht. Die Gemeinden sorgen vielmehr dafür, dass vorhandene Regeln umgesetzt werden, sprich: Dass im Laufe eines Verfahrens jedes Merkmal eines individuellen Falls berücksichtigt wird.
40 Jahre Kirchenasyl verdienen einen Moment des Innehaltens. Einen Moment, um sich bewusst zu machen, was einzelne Gemeinden aus dem christlichen Gedanken der Barmherzigkeit heraus zu leisten bereit sind.