Frankfurt a.M./Hamburg. Die 20 Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) haben sich auf gemeinsame Rahmenbedingungen für materielle Leistungen für Missbrauchsopfer geeinigt. “Es bleibt bei der individuellen Aufarbeitung”, sagte die Sprecherin des Beauftragtenrats der EKD, die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Individuelle Aufarbeitung bedeutet, dass nicht wie in der katholischen Kirche ein fester Rahmen für finanzielle Leistungen festgelegt wird, sondern dass bei jedem Betroffenen geschaut wird, welche Hilfe er benötigt. “Jedes Modell, das der pauschalen und der individuellen Leistung, hat seine Vor- und Nachteile”, sagte Fehrs.
In diesem Rahmen würden materielle Leistungen gemeinsam mit den Betroffenen festgelegt, erläuterte sie. So sei es in vielen Landeskirchen bisher geschehen. Es gebe unter den Landeskirchen jedoch eine erhebliche Bandbreite, was die Höhe der Anerkennungsleistungen angeht, die seit 2010 gezahlt wurden. Es werde für die materiellen Leistungen lediglich eine Plausibilitätsprüfung geben, sagte Fehrs. Dafür brauche es unabhängig arbeitende Kommissionen. Man habe sich aber mit bereits existierenden Kommissionen über mögliche Summen finanzieller Hilfeleistungen für Betroffene ausgetauscht, die sich an gesetzlichen Schmerzensgeldbemessungen orientieren. “Wir müssen diesen Teil der Aufarbeitung jetzt in den Landeskirchen synchronisieren”, sagte Fehrs. Bis zur kommenden Synode im November wolle man da eine Einigung vorlegen.
Keine Beweislast
“Wir möchten nicht, dass Menschen in eine Beweislast kommen. Entschädigung würde bedeuten, dass Betroffene ihr Leid beweisen müssten”, sagte Fehrs. Das sei nicht nur belastend für Betroffene, sondern auch in vielen Fällen schwer nachvollziehbar, weil es ein Charakteristikum des erlittenen Traumas sei, dass man Tathergänge, die oft lange zurückliegen, nicht mehr detailliert beschreiben könne.
Außerdem will die EKD ab Oktober mit übergreifenden Studien zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Kirche beginnen. Man sei gerade in Verhandlungen mit einem Forscherverbund, die bis zum Sommer abgeschlossen sein sollen, sagte Kirsten Fehrs.
Bis zu fünf Studien geplant
Nach den Plänen des Forschungsverbunds soll es vier oder fünf Studien zu einzelnen Aspekten geben, etwa zu Täterstrukturen oder zu den Auswirkungen des sexuellen Missbrauchs auf die Biografie der Betroffenen. Außerdem soll es eine Metastudie geben, die sowohl bereits vorliegende Einzelstudien von Landeskirchen als auch die Teilstudien zusammenführt. Ziel der Studien ist eine institutionelle Aufarbeitung des Missbrauchs Schutzbefohlener. Sie sollen erhellen, durch welche Strukturen speziell im evangelischen Kontext Missbrauch begünstigt wird und in welchen Bereichen Risiken entstehen, etwa in der Kinder- und Jugendarbeit, bei den Pfadfindern und auf Jugendfreizeiten.
Binnen drei Jahren von Oktober an sollen die Studien abgeschlossen sein, sagte Fehrs, sofern man das heute planen könne. Denn das sei in wissenschaftlichen Zeithorizonten äußerst knapp bemessen. “Wir setzen immer die Gründlichkeit vor die Schnelligkeit”, sagte die Hamburger Bischöfin.
Auch Zwischenergebnisse werden diskutiert
Die Studien sehen eine durchgängige Beteiligung Betroffener vor. Zwischenergebnisse sollen regelmäßig auch mit Betroffenen diskutiert werden, sagte Fehrs. Wenn es etwa um die Auswirkung des Missbrauchs auf die Biografie von Betroffenen gehe, sei das unerlässlich. (epd)