Die Jesiden in Deutschland fordern zehn Jahre nach Mord und Vertreibung durch den „Islamischen Staat (IS)“ eine Förderung und Anerkennung ihrer Kultur in der Bundesrepublik. Der vom Deutschen Bundestag 2023 anerkannte Völkermord müsse seinen Ausdruck in Schulen, Universitäten und Erinnerungsorten finden, sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Eziden in Deutschland, Irfan Ortac, in Lollar dem Evangelischen Pressedienst (epd). Deutschland habe gegenüber den rund 250.000 hierzulande lebenden Jesiden eine Verantwortung, denn an den Mordtaten des IS hätten sich rund 1.400 deutsche Staatsangehörige beteiligt.
Auf Schulhöfen würden jesidische Kinder rund Jugendliche nach einem im Nahen Osten existierenden Vorurteil als „Teufelsanbeter“ beschimpft, und Lehrkräfte griffen nicht ein, kritisierte Ortac. Dabei glaubten Jesiden als strenge Monotheisten nicht einmal an die Existenz des Bösen. „Man kann Rassismus nur bekämpfen, wenn man informiert ist“, mahnte er. In Deutschland gebe an keiner Hochschule die Möglichkeit, sich mit jesidischer Kultur, Religion und Genozidforschung zu befassen. Bildungseinrichtungen müssten über das Jesidentum informieren und gegen Diskriminierung vorgehen, betonte er.
Ortac forderte als Konsequenz aus dem Beschluss des Bundestags eine Gedenkstätte in Deutschland. Jesiden brauchten einen Ort, an dem sie trauern, gedenken und sich ihrer selbst vergewissern könnten, sagte er. Der Haushaltsausschuss des Bundestages habe Ende 2023 Mittel für eine Gedenkstätte zugesagt, aber die Bundesregierung habe bisher außer befristeten Projekten nichts für eine dauerhafte Gedenkstätte unternommen.
Die Jesiden forderten das Recht und die Möglichkeit, in ihre Heimatregion Sindschar im Nordirak zurückkehren zu können, betonte Ortac. Knapp 200.000 Jesiden hausten als Flüchtlinge in Zelten, zumeist in der Autonomen Region Kurdistan. In Sindschar gebe es keine Sicherheit und keinen Wiederaufbau, acht verschiedene Milizengruppen herrschten dort. Der Irak zeige kein Interesse an der Herstellung des Rechts und an einem Wiederaufbau. Die Bundesregierung fördere einzelne Projekte im Irak, aber keine nachhaltige Entwicklung wie den Bau von Häusern.
Schließlich erwarteten die Jesiden, dass die internationale Gemeinschaft ihnen Gerechtigkeit verschaffe, sagte der Zentralratsvorsitzende. Alle am Völkermord beteiligten Personen sollten international strafrechtlich verfolgt werden. Bis heute seien die Hintergründe nicht untersucht worden. Es müsse juristisch aufgearbeitet werden, wer die Hinterleute des Völkermords waren und wer sie finanziert habe, forderte Ortac.
Am Samstag, 3. August, gedenkt der Zentralrat der Eziden in Deutschland in der Frankfurter Paulskirche des zehnten Jahrestags des Völkermordes. Erwartet werden als Redner unter anderen der Bundesbeauftragte für weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Frank Schwabe, der irakische Außenminister Fuad Hussein und der stellvertretende Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, der Fuldaer Bischof Michael Gerber. Teilnehmen wird auch der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung, Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).