Nach Einschätzung des Lateinischen Patriarchen von Jerusalem, Kardinal Pierbattista Pizzaballa, gibt es derzeit keine Friedensperspektive im Nahostkonflikt. Nach Gaza werde die Eskalation des Konflikts an der Nordgrenze zum Libanon immer deutlicher. „Leider sieht es nicht so aus, als gäbe es kurzfristig eine Aussicht auf Frieden“, sagte Pizzaballa am Mittwoch in Fulda bei der Herbstvollversammlung der katholischen Deutschen Bischofskonferenz.
Die israelische und die palästinensische Bevölkerung seien zunehmend gespalten, die politische Führung sei in beiden Lagern umstritten. Um die Situation zu lösen, brauche es politische Perspektiven, die es auch nach einem Jahr Krieg nicht gebe, sagte Pizzaballa, der bereits am Dienstagabend nach Deutschland gereist war. Es gebe aus seiner Sicht keinen Grund, den Krieg weiterzuführen, dessen Dynamik sich ständig wiederhole. Als Lateinischer Patriarch ist er verantwortlich für die Katholiken in Israel und in den Palästinensergebieten.
Gewalt provoziere nur weitere Gewalt. Der Schmerz eines jeden müsse respektiert werden, ohne Hierarchien zu bilden, betonte Pizzaballa. Statt sich auf eine Seite zu schlagen, sei es wichtig, den Kriegsparteien zu helfen, aus ihrem Teufelskreis des Hasses auszubrechen. Der Heilige Stuhl oder der Vatikan könnten keine Lösung für den Konflikt finden, dies sei auch nicht ihre Aufgabe. Die Rolle der Kirche sei aber, die Kommunikation der beiden Kriegsparteien zu erleichtern.
Außerdem sei es die Aufgabe der Kirche, vor Ort zu helfen, betonte Pizzaballa. Die kleine katholische Gemeinde im Gazastreifen helfe mit Unterstützung von Caritas International und den Maltesern. „Alle zwei Wochen versuchen wir, 20 Tonnen Nahrungsmittel und lebensnotwendige Güter zu verteilen“, sagte der Kardinal, der zu den hochrangigen religiösen Vertretern in Israel gehört.
Die katholische Deutsche Bischofskonferenz appellierte an die Bundesregierung und an die Vereinten Nationen, sich weiterhin für eine störungsfreie humanitäre Hilfe im Gazastreifen einzusetzen. Der Druck auf die israelische Regierung müsse erhöht werden, damit die Menschen im Gazastreifen vollen Zugang zu Hilfsgütern und medizinischer Versorgung erhalten, sagte der Paderborner Erzbischof Udo Bentz. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe Naher und Mittlerer Osten der Bischofskonferenz.
Hunderttausende Palästinenser seien mit akuter Nahrungsmittelknappheit konfrontiert. Mehr als 85 Prozent der dortigen Bevölkerung seien Binnenvertriebene. „Die Bedingungen sind katastrophal. Die bisher eingeführten Hilfsgüter reichen bei Weitem nicht aus“, sagte Bentz. Es sei aber auch außerordentlich kompliziert, konkret zu helfen, betonte der Erzbischof.
Nach den Schilderungen Pizzaballas leben in Gaza-Stadt nur noch knapp über sechshundert Christen. Sie alle seien in den zwei Kirchenkomplexen versammelt, der katholischen Heiligen Familie und der orthodoxen St. Porphyrius. Alle ihre Häuser seien zerstört. In Gaza seien mehr als 80 Prozent der Häuser und die gesamte Infrastruktur zerstört, im Norden des Gazastreifens gebe es nur noch ein kleines, teilweise funktionierendes Krankenhaus für eine verbleibende Bevölkerung von rund 600.000 Menschen, so der katholische Patriarch.
Auch wenn das Ende des Konflikts nicht absehbar sei, dürfe man nicht aufgeben, sagte Pizzaballa. Die Kirche werde im Heiligen Land bleiben und allen Menschen Hilfe und Nähe zukommen lassen.