Von Helene Shani Braun
Wenn ich von meinem Studium und meinem Berufsziel Rabbinerin erzähle, treffe ich auf jüdischer ebenso wie auf christlicher Seite oft auf irritierte Gesichter, viele Fragezeichen und Ahnungslosigkeit. Vielen sind Rabbiner als ältere Herren mit langem Bart bekannt, aber eine Frau in diesem geistlichen Amt? Viele wissen nicht, dass die Wurzeln von Frauen im Rabbinat in Deutschland liegen. Denn die weltweit erste Rabbinerin war die Berlinerin Regina Jonas. Jonas wurde bereits 1935 ordiniert – also lange bevor die erste Pastorin einer evangelisch-lutherischen Kirche in Deutschland ordiniert wurde. Heute gibt es in aller Welt über 1000 Rabbinerinnen und ich bin voller Vorfreude mich eines Tages zu dieser Gruppe zählen zu dürfen.
Mir selbst ist die jüdische Vielfalt sehr wichtig und ich selber trage gerne dazu bei, diese auch zu vermitteln, denn genauso wie es nicht nur die eine Kirchen gibt, so ist auch das Judentum facettenreich. Das liberale Judentum ist offen für den Dialog. Seit diesem Jahr engagiere ich mich im interreligiösen Dialog, etwa in der Reihe „Unterwegs an Orten des Gebets“, in der es um die Begegnung zwischen den drei Weltreligionen geht.
Innerhalb der jüdischen Gemeinde wünsche ich mir, dass auch die große Anzahl junger Jüd*innen wahrgenommen wird, die sich außerhalb der Gemeindestrukturen organisieren. Gerade in Berlin gibt es zahlreiche jüdische Organisationen und Vereine. Das ist wunderbar, denn genau hier können wir anknüpfen und mehr an einem Dialog und Austausch zur „nicht jüdischen Außenwelt“ arbeiten.
Ein Problem, das allerdings wie ein Dorn im Fleisch des interreligiösen Dialogs zwischen Christen und Juden steckt, ist der Antijudaismus/Antisemitismus. Ich finde es schrecklich, dass der fast zwei Jahrtausende alte, religiös begründete Antijudaismus der Kirchen bis heute vorhanden ist. So wird noch heute von „Pharisäern“ oder von einem „Judas“ gesprochen und es werden antijüdische Klischees bedient. Auch Redewendungen wie „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ sind immer noch gängig und vermitteln ein falsches Bild.
Auch der moderne Antisemitismus ist nach wie vor ein wichtiges Thema. Muss erst ein Anschlag wie in Halle geschehen, damit der Staat reagiert? Und es reicht auch nicht, dass nur der Staat handelt, sondern jede*r muss etwas tun. Doch häufig erlebe ich nur Gleichgültigkeit. Jüdisches Leben sollte sichtbar sein und es sollte nicht nur an Antisemitismus gedacht werden, wenn von jüdischen Menschen gesprochen wird. Auf der anderen Seite sollte diese Feindschaft allerdings auch keinesfalls vergessen, sondern stets als Problem wahrgenommen werden.
Wir alle sollten die Vielfalt als etwas Positives sehen. Denn uns alle, gläubig oder nicht, eint doch, dass für uns die Würde des Menschen unantastbar ist.
Ich möchte nicht, dass die Religionen nur verglichen werden und Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Glauben aufgezeigt werden. Ich wünsche mir, dass das Miteinander über einen Austausch hinaus geht. Ich wünsche mir, dass alle jüdischen Menschen in Deutschland das Gefühl haben, dass die Kirche, die gesamte christliche Glaubensgemeinschaft, hinter ihnen steht. Ob wir auf einem guten Weg sind, bin ich mir noch nicht sicher, es gibt in jedem Fall noch einiges zu tun!
Helene Shani Braun (23), lebt seit zwei Jahren in Berlin. Sie studiert jüdische Theologie und ist Rabbinatsstudentin am Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam. Neben dem Studium engagiert sie sich in der Liberalen Jugendbewegung Netzer Germany und dem queer-jüdischen Verein Keshet Deutschland.