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Indischer Pater wirft deutscher Kirche “Ghetto-Mentalität” vor

Wenig Sonne und verschlossene Mitmenschen haben dem indischen Pater Rockson Chullickal den Start in Deutschland schwer gemacht. Trotzdem ist er nun seit 17 Jahren hier. Und hat Vorschläge für eine “globale Seelsorge”.

Haben Kirche und Klöster in Deutschland die Verbindung zur Lebenswirklichkeit der Menschen verloren? Von diesem Eindruck berichtet ein indischer Pater, der seit 17 Jahren als Seelsorger in Deutschland tätig ist. In einem Gastbeitrag für das kirchliche Internetportal katholisch.de schrieb Rockson Chullickal am Dienstag, hier herrsche fast eine “Ghetto-Mentalität”.

Pater Rockson Chullickal ist Priester und gehört dem Orden der Unbeschuhten Karmeliten an. Der Ordensmann wohnt mit anderen Priestern aus Indien auf dem Michaelsberg im rheinischen Siegburg. Im Vergleich des klösterlichen Lebens in Deutschland und Indien erkenne er eine starke Spannung: In Deutschland gebe es eine stark regelunterworfene Form mit einem gewissen Abstand zum Mitmenschen, die viel Wert auf die Privatsphäre des Einzelnen lege. In Indien dagegen gebe es eine intensive Zuwendung zum Mitmenschen, meistens ohne Anspruch auf Privatsphäre. Dadurch werde das stark regelunterworfene Leben “manchmal ein wenig außer Acht gelassen”.

Der Prior der Ordensgemeinschaft auf dem Siegburger Michaelsberg berichtet, die Umstellung vom pastoral-orientierten indischen Kloster auf ein der Tradition verbundenes deutsches Kloster sei nicht leicht gewesen: “Als Ordenspriester in Indien lebt man kein zurückgezogenes Leben, sondern ist tief in der Gesellschaft verwurzelt. Als Priester und Ordensmann in Indien bin ich immer für die Menschen da. Sie sind die Mitte allen pastoralen Handelns.”

In Deutschland habe ihn die Offenheit gegenüber unterschiedlichen Perspektiven, Geschlechtern und Ideologien stark geprägt, sagt Chullickal. Die Art und Weise, wie Frauen hier gleichberechtigt leben – und auch dem Priester gegenüber ihre Kritik zu pastoralen Themen äußern – sei für ihn neu gewesen. In Indien sei es für Frauen nicht immer leicht, dem Priester auf Augenhöhe zu begegnen. “Begegnung auf Augenhöhe ist für mich jedoch ein notwendiger Bestandteil eines gesunden Priester- beziehungsweise Kirchenbildes.”

Die konservative Haltung, der manchmal prachtvolle Auftritt und die unfreundlichen Gesichter mancher Priester in Deutschland haben den indischen Ordensmann erschreckt. “Diese Haltung, die ich bei den von der Aufklärung geprägten deutschen Priestern nicht erwartet hatte, bewirkte einen großen Abstand zwischen den Priestern und den Gläubigen”, erklärte er weiter.

Die indische Kirche unterscheide sich auch in der Themensetzung von der deutschen. “Bevor ich nach Deutschland kam, habe ich manche Themen des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht ausreichend ernst genommen”, schreibt der Pater. In Indien seien Themen wie der Dialog mit anderen Religionsgemeinschaften und die Option für die Armen wichtiger. In Deutschland dagegen brenne das Frauenpriestertum, der Zölibat der Priester und die Wiederaufnahme Geschiedener den Gläubigen unter den Nägeln. “Hier wird viel Wert auf die aktuellen Aussagen des Papstes zu diesen Themen gelegt, was in meiner Heimat selten der Fall ist”, ergänzte er.

In Indien habe er als Priester oft unter dem Druck gestanden, vollkommen sein zu müssen. “Ich glaube, dass dieser Vollkommenheitsanspruch vielen Priestern und der gesamten Kirche Schaden zugefügt hat.” Die Erkenntnis, dass auch Priester nicht vollkommen sind, habe er erst in Deutschland gewonnen.

Zu einem guten Rezept für eine globale Seelsorge oder Pastoral der Weltkirche gehört laut Rockson Chullickal beides: die indische Herzlichkeit und Spontanität sowie die deutsche Fähigkeit zur guten Organisation, die deutsche kritische und nachdenkliche Glaubensdiskussion und die indische intensiv gelebte Glaubenspraxis.