Weißrussland ist seit 1991 eine unabhängige Republik, das sozial-kulturelle Klima im Land ist aber immer noch deutlich von der Zeit als Sowjetrepublik geprägt. Das Land ist stark säkularisiert, beim Zerfall der Sowjetunion gab es in der Millionenstadt Minsk nur noch zwei aktive orthodoxe Kirchengemeinden. Inzwischen gibt es zahlreiche Gemeinde-Neugründungen und neuerrichtete Kirchen.
Für die Weißrussisch-Orthodoxe Kirche ist dabei klar, dass in einem mehrheitlich säkularen Umfeld das Engagement für mehr religiöse Sozialisation nicht nur aus dem Inneren der Kirchengemeinden heraus erfolgen kann, es muss sich vielmehr für die gesamte Breite der Gesellschaft öffnen. Daher setzt sich die Kirche engagiert für die Einführung von Religionsunterricht ein und für die Überwindung der strikten Trennung von Schule und Religion.
Die Evangelische Kirche von Westfalen begleitet diese Bemühungen von Beginn an: Im Rahmen dieses Austausches sind vom Pädagogischen Institut der westfälischen Landeskirche Thomas Schlüter und der Verfasser dieses Beitrags nach Minsk eingeladen worden, um die Anfänge des Religionsunterrichts in Weißrussland wahrzunehmen und eine Einschätzung dazu abzugeben.
2005 ist das erste Pilotprojekt zum Religionsunterricht an einem Minsker Gymnasium gestartet, andere Schulen sind gefolgt. Seit 2015 sind die Bedingungen dafür in einer Rahmenvereinbarung zwischen Staat und Kirche geregelt. Es handelt sich um Angebote von der Grundschule bis zum Abitur außerhalb der regulären Stundentafel. Mindestens 15 Schülerinnen und Schüler beziehungsweise deren Eltern müssen ihr Interesse bekunden, damit das Fach eingerichtet wird. Unter dem Titel „Kultur und Religion“ sind Lehrpläne für alle Schulstufen entwickelt und vom Bildungsministerium genehmigt worden. Lehrkräfte sind vor allem Lehrerinnen – und einige wenige Lehrer –, die an der erforderlichen Lehrerweiterbildung am staatlichen Fortbildungsinstitut teilgenommen haben. Zunehmend gehen auch orthodoxe Priester zum Unterrichten in die Schule.
Deutlich spürbar ist das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Kirche und Schule, das in diesen Jahren entstanden ist. Ein besonderes Verdienst kommt dabei dem promovierten Theologen Sviatoslav Rogalsky zu, der als orthodoxer Priester und Bildungsfachmann die Entwicklung durch eigenes Unterrichten, Verfassen von Lehrplänen und durch die Zusammenarbeit mit der staatlichen Lehrerbildung vorangetrieben hat. Die westfälische Delegation konnte sich bei Besuchen in fünf Minsker Schulen davon überzeugen, wie vertrauensvoll Lehrerinnen, Lehrer, Schulleitungen und die Schulaufsicht miteinander umgingen.
An einem Minsker Gymnasium stellte eine Oberstufenschülerin ihre Facharbeit über den Religionsunterricht in Deutschland vor. Dabei stellte sie das Ergebnis einer von ihr durchgeführten Umfrage vor: Im Kontext ihrer Schulgemeinde wünschte sich die Mehrheit der Schülerschaft, des Kollegiums und der Eltern eine Einführung von Religionsunterricht nach deutschem Muster. Wichtig ist den Befragten religiöse Bildung und die Bearbeitung von Lebensfragen aus religiöser Perspektive, ohne dass den Schülerinnen und Schülern der Glaube aufgedrängt wird.
Auf dem Programm der Besuchswoche stand abschließend ein Runder Tisch zur religiösen Bildung in der Schule, zu dem die Akteure aus dem Schulbezirk Minsk zahlreich erschienen waren. Dem grundsätzlichen Konsens, dass Religion im Schulunterricht thematisiert werden soll, stand ein Ringen gegenüber, wie das inhaltlich umzusetzen sei.
Die Meinungen deckten ein breites Spektrum ab: Einige halten es für ausreichend, Religion als Querschnittsthema in den regulären Schulfächern wie zum Beispiel Geschichte oder Musik anzusprechen, andere fordern ein eigenes religionspädagogisches Angebot in Zusammenarbeit mit den benachbarten orthodoxen Gemeinden. Manche Schulen verknüpfen die Themen Religion und weißrussische Landesgeschichte und Kultur, die eng mit der Geschichte der weißrussischen Orthodoxie verbunden ist. In anderen Schulen stehen ethische Fragestellungen sowie diakonische Aufgaben in der Gesellschaft im Vordergrund und es werden Aktionen zum Beispiel für Bedürftige oder Ältere durchgeführt.
Sicher ist es noch ein weiter Weg bis zu einem flächendeckenden Religionsunterricht in Weißrussland. Die ersten Schritte sind aber vollzogen: Der rechtliche und inhaltliche Rahmen ist abgesteckt, mehrere hundert Lehrerinnen und Lehrer sind qualifiziert worden. Bei der gegenwärtigen Praxis sind einige Anregungen für die religionspädagogische Arbeit in Deutschland zu entdecken, etwa bei der Einbindung von Eltern im Religionsunterricht, bei jahrgangsübergreifenden Angeboten und bei der Zusammenarbeit von Kirche und Schule: So strahlt das im Osten aufgehende Licht religiöser Bildung bis zu uns in den Westen.
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Im Osten erstrahlt ein neues Licht
Russland hat bereits eine Religionsstunde pro Woche an den Schulen eingeführt. Auch in Weißrussland bewegt sich etwas. Dort setzt sich die Weißrussisch-Orthodoxe Kirche engagiert für die Einführung von Religionsunterricht ein – mit ersten Erfolgen
