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Illegale Autorennen: Einmal im Leben ein Held sein

Montagabend, 26. August 2024: Der Schiffbeker Weg in Hamburg-Billstedt ist ein Trümmerfeld. Neben einem völlig zerstörten Ford-Van liegt ein umgekippter Kinderwagen. In dem Van saßen eine 40-jährige Mutter und ihre zwei Kleinkinder. Nach polizeilichen Erkenntnissen hatte erst ein Mercedes, dann ein Tesla den Ford gerammt. Der 22-jährige Tesla- und der 24-jährige Mercedes-Fahrer befinden sich laut Generalstaatsanwaltschaft in Untersuchungshaft – es werde ermittelt, ob sie sich ein illegales Autorennen geliefert haben.

Laut der Statistik zu Verkehrsauffälligkeiten des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) in Flensburg wurden 2023 deutschlandweit 1.733 illegale Rennen registriert. Davon entfielen 41 auf Hamburg, 40 auf Schleswig-Holstein und 22 auf Mecklenburg-Vorpommern. Das KBA weist allerdings darauf hin, dass Rennen, die in die Statistik einfließen, bereits in vorangegangenen Jahren erfolgt sein können.

Laut dem Hamburger Verkehrspsychologen Rüdiger Born sehen Fahrer illegaler Autorennen in ihrem Tun die Chance, ihre Leistung unter Beweis zu stellen. Im Umkehrschluss lasse sich sagen: „Wenn Leute ihre Leistungsfähigkeit in anderen Lebensbereichen unter Beweis stellen könnten, wo sie einen noch größeren Profit wie Geld oder Ehre davontragen, würden sie es wahrscheinlich dort tun.“ Wer beruflich erfolgreich sei und im Job viel Anerkennung erhalte, würde „wahrscheinlich weniger auf die Idee kommen, sich bei einem Autorennen zu beweisen“.

Seit Herbst 2017 stellen verbotene Kraftfahrzeugrennen in Deutschland eine Straftat dar. Wer ein solches Rennen durchführt oder daran teilnimmt, dem drohen laut Paragraf 315d des Strafgesetzbuchs (StGB) bis zu zwei Jahre Haft. Wer dabei andere Menschen gefährdet, muss mit bis zu fünf Jahren Gefängnisstrafe rechnen. Wird jemand schwer verletzt oder getötet, drohen bis zu zehn Jahre Haft.

Trotzdem liefern sich Menschen bundesweit weiter illegale Autorennen. In Hamburg finden diese laut Polizei „überwiegend spontan“ statt. „Rennen dauern manchmal nur wenige Sekunden, sie beginnen wie aus dem Nichts. Die Fahrer kennen sich oft gar nicht, sondern verabreden sich per Handzeichen“, erläutert ein Sprecher der Polizei Hamburg. Im Unterschied etwa zu Berlin gebe es in Hamburg keine organisierte Raser-Szene, die sich in Chatgruppen zu Rennen verabredet.

Oft handelt es sich bei den Fahrern um junge Männer. Born bestätigt das: „Man weiß schon seit Jahren, dass die jungen Männer den meisten Unfug machen.“ Zwar gebe es auch bei jungen Frauen mehr fahrerische Auffälligkeiten als bei der Gesamtbevölkerung, sie seien aber im Wesentlichen auf Unerfahrenheit zurückzuführen. Bei manchen jungen Männern paare sich diese Unerfahrenheit „mit Unternehmungslust und einer Freude an der Kraft, am Sich-Beweisen und am Was-Rausholen“. Diese Menschen bildeten „eine gefährliche Gruppe, und die ist natürlich besonders vertreten“, wenn es um illegale Autorennen gehe, sagt Born. Viele überschätzten sich beim Fahren selbst: „Die sagen sich: Ich sehe alles, ich weiß alles, ich habe alles im Griff.“

Passiert bei einem illegalen Rennen etwas Schlimmes, sind die Fahrer laut Born danach „durchaus verstört, wenn sie das an sich ranlassen“. Oder wenn sie vor Gericht gar Angehörigen von Opfern in die Augen schauen müssen. „Das bewegt die schon sehr. Ich habe noch keinen erlebt, der völlig kaltherzig war.“ Born weist allerdings darauf hin, dass zu ihm im Wesentlichen diejenigen Fahrer kämen, die sich zum Positiven verändern wollen, insofern könne er nur über diese Gruppe berichten. „Einer, der ganz kaltherzig ist, kommt hier allenfalls auf Anraten seines Anwalts hin und hat eigentlich keine Lust, sich zu öffnen.“

Der Crash auf dem Schiffbeker Weg in Hamburg hat eine Familie zerstört: Die Mutter und ihre Kinder, die in dem Ford unterwegs waren, erlitten schwere Verletzungen, einer der beiden zweijährigen Jungs – es handelte sich um ein Zwillingspaar – verstarb später im Krankenhaus.