Seit zwei Jahren haben die Jesiden im Nahen Osten traurige Bekanntheit erlangt. Immer wieder werden Angehörige der Minderheit von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) entführt oder hingerichte; laut Schätzungen des Zentralrats der Jesiden in Deutschland wurden bis Ende des vergangenen Jahres 5000 Frauen versklavt. Mehrere neue Bücher machen einige Einzelschicksale hinter den Schlagzeilen nun greifbar.
Jesidische Jungen werden als Kindersoldaten ausgebildet, Mädchen „misshandelt, vergewaltigt, entmenschlicht“, so beschreibt der Psychologe Jan Kizilhan die Lage. Kizilhan behandelt Hunderte Betroffene, darunter auch eine junge Frau, die unter dem Pseudonym Shirin das Buch „Ich bleibe eine Tochter des Lichts“ veröffentlicht hat. Das Land Baden-Württemberg sorgt für die psychosoziale Betreuung von insgesamt 1000 misshandelten Frauen. „Wieso können Menschen anderen Menschen so etwas antun?“, habe Shirin ihn immer wieder gefragt, sagt Kizilhan. „Sie schaute in meine Augen, als wartete sie auf eine Antwort. Ich hatte keine.“
Vor der Vergewaltigung: Niederknien zum Gebet
Antworten auf diese Frage dürfen auch die Leserinnen und Leser von Jinan Badels Buch „Ich war Sklavin des IS“ nicht erwarten. Ihre Schilderungen von Gewalt sind erschütternd; kaum weniger die Hintergründe, die sie zum alten Hass auf die Jesiden nennt. „Seit vielen hundert Jahren sind wir hinter euch her“, zitiert sie einen IS-Kämpfer, „ihr kafir, ihr Abtrünnigen, ihr Atheisten!"
Farida Khalaf gibt in „Das Mädchen, das den IS besiegte“ Licht- und Schattenseiten von Religion wieder: Regelmäßige Gebete hätten ihr in der Gefangenschaft Halt gegeben, betont die Autorin. „Für mich war klar, dass ich meine Religion nie verraten würde, auch wenn ich dafür sterben müsste.“ Auch beschreibt sie im Nachwort, wie sich deutsche Ordensschwestern nach ihrer Flucht um sie kümmerten.
Gleichzeitig prangert Khalaf den Missbrauch von Religion an. So schildert sie, wie Terroristen vor Vergewaltigungen zum Gebet niederknien und ihre Tat so „als eine Art Gottesdienst“ zelebrieren. Dabei, so betont Khalaf, sei ihr Tun „nicht im Geringsten gottesfürchtig“, sondern „eine große Schande für ihre Religion, die sie damit beschmutzten“.
Eher indirekt kritisieren die Autorinnen auch Teile ihrer eigenen, von religiös motivierten Tabus geprägten Erziehung und Kultur. „Wenn man versucht, dich zu besudeln, nimm dir das Leben“, riet man Jinan Badel; nach ihrem Schein-Übertritt zum Islam befürchtete die Jesidin den Ausschluss aus ihrer Religionsgemeinschaft. Die Selbstvorwürfe der Frauen seien vielleicht das Schlimmste an der Gefangenschaft gewesen, schreibt ihre Leidensgenossin Khalaf: „Wir alle waren so erzogen worden, dass wir uns selbst die Schuld gaben.“ Am Schicksal anderer Frauen habe sie jedoch erkannt, „dass das falsch war“. Solch differenzierte Töne beeindrucken.