Das Angebot „M.U.T. – Beratung gegen Diskriminierung“ in Mittel- und Unterfranken wird es im neuen Jahr nicht mehr geben. Genauso wenig wie drei andere Beratungsangebote, die alle regional und digital gearbeitet haben. Grund dafür ist das Auslaufen einer dreijährigen Projektfinanzierung durch den Bund. Was das für Betroffene bedeutet und was der Freistaat Bayern nun tun müsste, um die Angebote zu retten, erzählt die bisherige „M.U.T.“-Projektleiterin Nadja Kutscher dem Evangelischen Pressedienst (epd).
epd: Frau Kutscher, mit welchen Anliegen kamen Betroffene zur Beratungsstelle?
Nadja Kutscher: Wir haben Menschen begleitet, die aus ganz unterschiedlichen Gründen Diskriminierung erfahren haben. Sowohl in Bereichen, die durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz genannt werden, wie sexuelle Orientierung, Geschlecht, Herkunft oder Alter, als auch Bereichen, die in Deutschland noch nicht im Gesetz stehen, wie Armut oder Aussehen. Wir haben die Menschen dann zu den Möglichkeiten beraten, die sie haben. Das konnte juristisch sein, das waren aber die wenigsten Fälle. Meistens war es eine psychosoziale Begleitung, es waren Vermittlungsgespräche oder Beschwerdebriefe an die jeweiligen Stellen.
epd: Was war eine konkrete Situation, in der Sie um Hilfe gebeten wurden?
Kutscher: Da war jemand, der schon seit vielen Jahren in einem handwerklichen Betrieb arbeitet, dort seine Ausbildung gemacht und sich bis zum Meister hochgearbeitet hat. Er ist ursprünglich aus Syrien zugewandert. Von einer Kollegin wurde er immer wieder stark rassistisch beleidigt und im Betrieb übergangen. Als er sich irgendwann seinem Vorgesetzten geöffnet hat, hat dieser nicht reagiert und ihm empfohlen, das direkt mit der Kollegin zu klären. In dem Fall ist es sogar rechtlich ziemlich klar: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verlangt vom Arbeitgeber, in solchen Situationen zu handeln. Wir haben in der Beratung mit dem Betroffenen zusammen überlegt, was sein Ziel ist, und Vermittlungsgespräche vorgeschlagen. Die Firma wollte aber explizit nicht die Beteiligung der Antidiskriminierungsstelle und hat sich entschieden, eine externe Mediatorin einzuschalten. Juristisch wollte der Betroffene nicht vorgehen und hat sich auf dieses Angebot eingelassen. Es kam zu klärenden Gesprächen. Wie es letztendlich ausgegangen ist, haben wir dann aber nicht mehr erfahren.
epd: Welche Ziele und Wünsche haben Betroffene, wenn sie zu Ihnen kommen?
Kutscher: Bei dieser Person war es so, wie auch bei vielen anderen: Er wollte, dass sich nicht nur für ihn etwas ändert, sondern dass auch seine Töchter in Zukunft so etwas nicht mehr erleben müssen. Viele Menschen wollen auch etwas für andere bewirken, denen das Gleiche passieren könnte. Insgesamt bringt es den Betroffenen die Gewissheit, dass der Staat dafür sorgt, dass sie zu Ihrem Recht kommen, wenn sie das wollen. Denn es gibt dieses Recht, das sagt: Niemand darf diskriminiert werden. Wenn den Menschen aber niemand dabei hilft, das einzufordern, geht auch Vertrauen in das System verloren.
epd: Die Beratungsstelle „M.U.T.“ ist, genau wie drei weitere Angebote in Bayern, 2023 durch das vom Bund geförderte Projekt „respekt*land“ entstanden. Zum Ende des Jahres läuft die Finanzierung planmäßig aus. Wie geht es jetzt weiter?
Kutscher: Das Projekt war als Anschubfinanzierung gedacht, mit der Hoffnung, dass das Land diese Stellen oder zumindest ein gleichwertiges Format weiter fördert. Vor „respekt*land“ gab es in Bayern nur sieben kommunale Beratungsstellen in großen Städten, die die Menschen in der Fläche gar nicht beraten dürfen. Das konnten unsere neuen Beratungsangebote nach und nach leisten. Leider werden diese Angebote ab dem kommenden Jahr vom Freistaat nicht weiter gefördert.
epd: Was bedeutet das für die Arbeit in Ihrem Projekt?
Kutscher: Schon seit Mitte des Jahres haben sich die Mitarbeitenden nach anderen Stellen umgeschaut und unser Team ist nicht mehr komplett. Schon im Oktober mussten wir die Aufnahme von neuen Fällen einstellen, damit wir zumindest die bestehenden Fälle noch so gut wie möglich begleiten können. Wir haben drei Jahre lang Vertrauen bei den Menschen aufgebaut und müssen ihnen jetzt sagen, dass wir sie nicht mehr unterstützen können und es auch niemand anderen gibt, der das kann. Für die Betroffenen ist das natürlich eine große Enttäuschung und ein Vertrauensverlust, auch in die Politik. Es vermittelt den Leuten: Sie haben zwar auf dem Papier ein Recht, aber das Thema wird nicht ernst genommen.
epd: Gibt es für Sie irgendeine Möglichkeit, das Thema Antidiskriminierungsarbeit weiter auf der politischen Agenda zu halten?
Kutscher: Wir haben Mitte des Jahres noch eine Landesarbeitsgemeinschaft Antidiskriminierung gegründet. Da sind viele Menschen der „respekt*land“-Stellen drin, aber auch kommunale Stellen und Träger, die weiterbestehen. Damit wollten wir sicherstellen, dass es zumindest noch einen Akteur für die politische Lobbyarbeit gibt. Die kommunalen Stellen bleiben bestehen, es wird auch eine weitere dazukommen. Von da bekommen wir auch ganz viel Unterstützung. Die Landesarbeitsgemeinschaft wird weiter fordern, dass eine flächendeckende Beratung finanziert wird.
epd: Was fordern die Anbieter der Beratungsangebote jetzt vom Freistaat?
Kutscher: Das Problem ist, dass es in Bayern keine geregelte Zuständigkeit für das Thema gibt. Wir hatten uns an das Sozialministerium gewandt, aber dort hieß es, dass man nicht zuständig sei – aber auch kein anderes Ministerium. So konnten wir nur auf Landtagsebene arbeiten. Da gab es auch viel Interesse von Einzelpersonen, aber das hat wohl nicht gereicht. Unsere große Hoffnung und Forderung ist, dass es mit so wenig Lücke wie möglich gelingt, doch noch Gelder bereitzustellen. Die Netzwerke bestehen jetzt noch, das Wissen ist da. Aber je länger es dauert, desto mehr davon geht verloren. Es muss ganz klar eine Zuständigkeit auf Ministeriumsebene benannt werden. Und dann wäre es am besten, wenn eine Landesantidiskriminierungsstelle geschaffen wird, die die Arbeit vor Ort koordiniert.
epd: So eine gibt es zum Beispiel in Baden-Württemberg. Warum klappt es dort und in Bayern nicht?
Kutscher: Ein Grund, der uns in Bayern oft genannt wurde, warum auf Landesebene nicht mehr passiert, ist, dass die Zuständigkeit beim Bund liege. Das praktische Gegenbeispiel ist hier der Rest Deutschlands. In allen anderen Bundesländern gibt es solche Angebote. Da arbeiten Landesantidiskriminierungsstellen mit freien Trägern zusammen, da gibt es verschiedene Finanzierungsmodelle. Und Baden-Württemberg ist da gut vergleichbar mit Bayern als Flächenland. Dort steht die Beratungsarbeit auf ganz festen Füßen.
epd: Am Freitag treffen sich die Anbieter der Antidiskriminierungsberatung zu einem letzten Fachtag in München. Auch Vertreterinnen und Vertreter der demokratischen Landtagsfraktionen sind vor Ort. Was erhoffen Sie sich von dem Treffen?
Kutscher: Die Hoffnung wäre, dass wir ein klares Bekenntnis bekommen für die Zusammenarbeit mit unserer Landesarbeitsgemeinschaft. Und dass die Verantwortlichen wahrnehmen: Ganz akut zum Ende des Jahres brechen die Strukturen weg. Es ist also keine Zeit, noch länger zu warten. In den letzten Wochen kamen schon immer wieder einzelne Personen aus den Regierungsfraktionen auf uns zu, aber daraus ist noch nichts entstanden. Ich hoffe, dass wir klarmachen können, wie viel wir geleistet haben und dass es wirklich weitergehen muss. (3812/04.12.2025)