Morgens bringt sie ein Kind zur Welt, nachmittags kleidet sie Verstorbene für die Beerdigung an: Ellen Matzdorf aus Oldenburg ist Hebamme und Bestatterin. Sie wünscht sich einen selbstverständlicheren Umgang mit dem Tod.
Es fing an mit der Geburt von Marius. Hebamme Ellen Matzdorf war an der Seite von Mutter Susanne, als der kleine Junge geboren wurde und als sofort klar war, dass er nicht würde leben können: Er hatte keine Speise- und keine Luftröhre.
Bestattungen von Kindern – damit habe alles begonnen, erzählt die 60-Jährige. Sie wusste ab diesem Moment, dass sie den Angehörigen die schwere Zeit nach dem Tod eines Menschen so erträglich wie möglich machen wollte. Matzdorf entschied sich, ab sofort nicht nur Kinder zur Welt zu bringen, sondern auch Sterbende und deren Angehörige zu begleiten. Die Oldenburgerin ist nach eigenen Angaben Deutschlands erste Hebamme, die Bestatterin wurde und auch Sterbegleiterin ist. Mittlerweile gibt es etwa in Berlin auch andere Menschen, die beide Tätigkeiten kombinieren.
Über ihre Lebensgeschichte hat Matzdorf mit Co-Autorin Verena Schmitt-Roschmann jetzt das Buch “Vom ersten bis zum letzten Atemzug” geschrieben. Es erscheint am Wochenende. Matzdorf verarbeitet darin ihre beiden so unterschiedlichen Tätigkeiten.
Geburt und Tod: Für die tatkräftige Frau, die ihren kranken Bruder bis zum Tod begleitet hat, ist das nicht nur Gegensatz, wie sie erzählt. “Wir werden geboren und wir sterben, das ist für alle gleich. Wir werden nicht gefragt, wann wir auf die Welt kommen. Wir wissen nicht, wann unser Leben zu Ende geht. Irgendwann schließt sich der Kreis.”
Ihre Tätigkeit als Hebamme helfe ihr auch, als Bestatterin bei der Begleitung der Angehörigen die richtigen Worte zu finden. “Ich nehme dieses ganz besondere Gefühl, das in der Geburtssituation entsteht, mit zum Bestattungsgespräch. Wenn ich in diesem liebevollen Gefühl bleibe, kann ich das auch zu den Menschen transportieren, die traurig sind.”
Und es gebe weitere Ähnlichkeiten: Bei einer Geburt konzentriere sich alles auf den einen Moment, in dem das Kind geboren werde und anfange, eigenständig zu atmen. Genau so empfinde sie den Moment, wenn ein Mensch sterbe – wenn alles auf den letzten Seufzer hinhorcht. “Wir wissen nicht, welcher Atemzug der letzte sein wird – erst im Nachhinein.”
Die klassische Ruhe, die danach einkehre, sei vergleichbar mit dem Moment der Geburt: “Es ist eine einzigartige Stille – am Anfang und am Ende des Lebens”, so Matzdorf. Das Alltägliche werde völlig unwichtig, man nehme keinen Straßenlärm mehr wahr. “Erst allmählich dringen die Geräusche dann wieder ins Bewusstsein”, sagt sie.
Ganz anders sei aber der öffentliche Umgang mit Geburt und Tod. Am Anfang des Lebens kann – mit Babypartys oder ähnlichem – “der Hype um die Geburt gar nicht groß genug sein”, so die Hebamme. Der Tod werde dagegen meist verdrängt – “man ist überrascht, wenn er da ist”, sagt sie.
Matzdorf wünscht sich einen alltäglicheren Umgang mit dem Sterben – etwa eine Aufbahrung zu Hause, wie sie früher üblich war. “Sterben ist ja nichts Außergewöhnliches, sondern etwas Natürliches. Wir brauchen den Blick auf das Normale.”
Für die Menschen, die zu ihr als Bestatterin kommen, versuche sie, die jeweils richtige Form des Abschieds zu finden. Dass die verstorbene Oma nach dem Tod im Krankenhaus nochmal zurück in den heimischen Garten kommt, zum Beispiel. “Da gab es eine Familie, die wollte im Bestattungsinstitut von der Großmutter Abschied nehmen und danach nach Hause fahren und gemeinsam Rhabarberkuchen im Garten essen – den Lieblingskuchen von der Oma. Dann habe ich gesagt: ‘Warum soll sie nicht einfach mit dabei sein?'”
Einen Verstorbenen nochmal in die eigenen Räume holen, um dort von ihm Abschied zu nehmen: Das ist eines der Angebote, die Matzdorf den Angehörigen macht. “Was für die eine Familie richtig ist, kann für die andere aber falsch sein”, betont sie. “Der eine möchte eine laute Party für den Verstorbenen, für den anderen ist die klassische katholische Beerdigung genau richtig.”
Für den Anfang und das Ende des Lebens, empfiehlt sie gleichermaßen, genau in sich hineinzuhorchen: “Jede Frau weiß von Natur aus, wie gebären geht. Und jeder Mensch kann auch mit dem Tod umgehen – es gibt ja ohnehin keine Wahl. Wenn ich dieses Selbstvertrauen stärken kann, macht mich das zufrieden.”