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Gut betucht unter ihresgleichen

Die Debatte über den Vorstoß der NRW-Landesregierung, das Kopftuchtragen für jungen Mädchen unter 14 Jahren zu verbieten, geht weiter

© epd-bild / Guido Schiefer

Düsseldorf/Berlin – NRW- Integrationsstaatssekretärin Serap Güler hat den Vorstoß der Landesregierung für ein Kopftuchverbot bis Ende 2019 für Mädchen unter 14 Jahren verteidigt. Bei dem erwogenen Verbot gehe es weder um Religion noch um Integration, sagte Güler im ZDF-„Morgenmagazin“: „Es geht um die freie Entfaltung des Kindes.“ Wenn ein Mädchen so früh ein Kopftuch trage, müsse darüber debattiert werden, „inwieweit wir auch in manchen Fällen sogar die freie Entwicklung des Kindes vor den Eltern schützen müssen“.

Keine belastbaren Daten zur Zahl Betroffener

„Das Kopftuch sollte man auch nach islamischen Brauch erst mit Anfang der Pubertät tragen“, betonte Güler. Das sei bei Mädchen im Kita- und Grundschulalter noch nicht der Fall. Deshalb könne sich hier auch niemand auf die Ausübung der Religionsfreiheit berufen. Nach islamischen Verständnis trage eine Frau ein Kopftuch, um ihre Reize vor Männern zu verhüllen. Wenn Kinder Kopftücher trügen, sexualisiere sie das. Sie habe häufiger von Eltern gehört, dass Mädchen schon früh Kopftuch tragen sollten, damit sie es später nicht mehr hinterfragen. „Ich möchte aber, dass Kinder das hinterfragen“, sagte die Integrationsstaatssekretärin. Wenn eine junge Frau sich später für das Kopftuch entscheide, sei das ihr gutes Recht.
Es gebe zwar keine validen Daten über die Zahl von kopftuchtragenden Mädchen, betonte Güler. Aber es gebe Rückmeldungen von Lehrern, Pädagogen und Müttern, die es vermehrt wahrnähmen.
Ähnlich äußerte sich der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide. Kaum ein muslimisches Mädchen unter 14 Jahren trage aus eigener Motivation ein Kopftuch, sagte der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie der Universität Münster. „In den meisten Fällen beeinflusst der Vater das Mädchen subtil dazu, Kopftuch zu tragen.“ Ein gesetzliches Verbot könne eine große Hilfe für die Mädchen sein, die sich nur schwer gegen ihre Väter durchsetzen könnten.
Zuvor war in Österreich ein solches Verbot für Kitas und Grundschulen angekündigt worden. Juristen und Inte­grationsexperten in Deutschland zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines Verbotes. Lehrer reagierten uneinheitlich. Der Philologenverband und der Deutsche Lehrerverband wie auch liberale Muslime begrüßten den Vorstoß, der Grundschulverband und die Gesamtschulleiter in NRW dagegen lehnten ihn ab.
„Für den Grundschulverband besteht an dieser Stelle keinerlei Handlungsbedarf“, sagte die Landesvorsitzende des Fachverbandes, Christiane Mika, der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“. An ihrer Schule beispielsweise seien von 345 Schülern 280 Muslime, davon trügen lediglich sechs Mädchen Kopftuch, sagte Mika, die eine Dortmunder Grundschule leitet. Skeptisch äußerten sich auch die Gesamtschulleiter. „Auch wenn die Anzahl der Kinder mit Kopftuch an den Gesamtschulen zugenommen hat, ist das derzeit kein relevantes Phänomen“, sagte Mario Vallana, Landessprecher der Schulleitungsvereinigung der Gesamtschulen der Zeitung: „Grundsätzlich halten wir nicht viel von pauschalen Verboten. Ziel der Gesamtschulen ist es, möglichst viele Kinder zu integrieren. Ein Verbot dürfte da mehr Probleme provozieren als lösen.“

Bei bedenklichen Entwicklungen eingreifen

Kritisch sieht auch der Berliner Integrationsbeauftragte Andreas Germershausen ein Kopftuchverbot für Minderjährige. Das löse keine Probleme, sagte Germershausen. Er beobachte seit langem, dass Kopftuchverbote den Übergang muslimischer Frauen in das alltägliche soziale Leben erschwerten: „Es nötigt Frauen, die ein Kopftuch tragen, in abgegrenzte Felder, in denen das Kopftuch üblich ist.“ Zudem bezweifelt er, dass ein solches Verbot mit der Religionsfreiheit und mit dem Erziehungsrecht der Eltern in Einklang steht.
Kritisch äußerte sich auch der Direktor des größten islamtheologischen Instituts in Deutschland an der Universität Osnabrück, Bülent Ucar: „Letztlich verfestigt man Parallelgesellschaften, weil die Kinder in der Schule möglicherweise anders auftreten als privat in den Familien“, sagte er der „Welt“. Dennoch müsse „der Staat natürlich eingreifen und das Kindeswohl in den Mittelpunkt seines Handelns stellen“, wenn Mädchen gegen ihren Willen zum Kopftuchtragen verpflichtet würden. „Ich sehe die Lehrkräfte in der Verantwortung, die Kinder und Jugendlichen aufmerksam zu beobachten. Dort, wo es bedenkliche Entwicklungen gibt, muss man mit den Eltern reden – bestenfalls auch in Zusammenarbeit mit den Moscheevereinen.“ Die Schule dürfe auch vor „Zwangsmaßnahmen“ nicht zurückschrecken.  epd/KNA/UK