Es war eine Nacht im Herbst 2016, als Gorden Isler in den sozialen Netzwerken einen Beitrag sah, der ihn entsetzte. Eine zivile Seenotrettungsorganisation postete über ein gekentertes Schiff im Mittelmeer und eine Mutter, die starb, als sie ihre Kinder retten wollte. Noch in derselben Stunde bewarb sich der Vater einer erst vor Kurzem geborenen Tochter beim Verein Lifeboat für einen Einsatz auf einem Rettungsschiff. Kurz darauf war er für die Minden gecrewt, im November legte er von Malta ab, ohne dass er je zuvor zur See gefahren wäre. „Ich war nicht mutig“, sagt der heute 40-Jährige im Nachhinein. „Ich konnte einfach nicht anders.“
Es ist eine Geradlinigkeit, die sich durch das Engagement des Hamburgers zieht. Er befasst sich mit der Situation von Flüchtlingen seit dem Tod von Alan Kurdi, des zweijährigen syrischen Jungen, der 2015 bei der Flucht ertrunken und dessen lebloser Körper an die türkische Küste gespült worden war. Nun musste Isler selbst bei seinem ersten Einsatz im Mittelmeer mit ansehen, wie Menschen vor seinen Augen ertranken, obwohl die Crew der Minden ihr Bestes gab. Da habe er begriffen, dass nicht sein darf, was an den Außengrenzen der Europäischen Union passiert. Es sei diese Ungerechtigkeit gewesen, die ihn zum Aktivisten werden ließ, sagt Isler, der in Frankfurt/Oder aufgewachsen ist.
“Alle tragen es mit”
Ohne den Rückhalt seines privaten Umfeldes hätte er den weiteren Weg bei den Seenotrettern nicht gehen können. Nach fünf Einsätzen auf See und Fundraising-Arbeit für die Hilfsorganisation Sea-Eye, zu der er gewechselt war, wird er gefragt, ob er deren Vorsitzender werden wolle. Isler bespricht sich mit seiner Familie und Kollegen. Als Inhaber einer Firma für nachhaltige Versicherungen hat er acht Mitarbeiter. „Es bedeutet ja eine große Belastung. Doch alle tragen es mit. Das spiegelt mir wider: Es ist korrekt, was ich tue.“ Zeitweilig arbeitete er 40 Stunden pro Woche ehrenamtlich, lernte alle juristischen Details eines Reedereigeschäfts. Derzeit sind es noch rund 14 Stunden.
Als Vorsitzender bekommt er Drohmails, wenn Rettungsaktionen erfolgreich waren. Wie hält er das aus? „Die Leute, die richtig finden, was wir tun, unterstützen uns oder spenden. Die anderen schreiben anonyme Mails“, sagt er fast ein bisschen lakonisch. Wütend klingt er dagegen, wenn er über eine Kaltschnäuzigkeit der EU-Staaten spricht, die Menschen ertrinken ließen und stattdessen Milliarden in Grenzschutz investierten. Die Geflüchteten und die Geflüchtetenhilfe würden durch diese Politik zunehmend kriminalisiert.
Die Helfer selbst brauchen derzeit Zuspruch. Sea-Eye ist eingebettet in das Bündnis United4Rescue, an dem sich die Evangelische Kirche in Deutschland beteiligt. Es sei wichtig, dass im kirchlichen Kontext dafür Sorge getragen werde, dass das Bündnis und damit die zivilen Kräfte stark genug blieben, sagt Isler. „Denn ich glaube, es wird bald wieder schlimmer auf dem Mittelmeer.“ Wer in der Seenotrettung helfen wolle, sollte auf sein Herz hören „Man muss ja nicht an Bord. Es gibt viele Möglichkeiten an Land, wo man seine Rolle finden kann.“