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Gewalt gegen Frauen: Wie sich eine Kieler Pastorin einsetzt

In der Kieler St.-Nikolai-Kirche suchen Menschen Zuflucht – oft leise und unvermittelt. Pastorin Maren Schmidt erlebt hier, was Statistiken bestätigen: Gewalt gegen Frauen ist allgegenwärtig.

Pastorin Maren Schmidt aus Kiel kümmert sich um Frauen, die Gewalt erleben mussten
Pastorin Maren Schmidt aus Kiel kümmert sich um Frauen, die Gewalt erleben musstenKirchenkreis Altholstein / Jürgen Schindler

Die Offene Kirche St. Nikolai in Kiel hat an sieben Tagen in der Woche ihre Türen geöffnet. Menschen kommen aus ganz unterschiedlichen Gründen in die Kirche. Einige setzen sich still auf die Kirchenbank oder entzünden eine Kerze, andere möchten reden. In seelsorgerlichen Gesprächen kann zur Sprache kommen, was sonst oft ungesagt bleibt.

Auch Gewalterfahrungen seien dabei immer wieder ein Thema, sagt Pastorin Maren Schmidt. „Ich bin häufiger, als mir lieb ist, mit Gewalt an Frauen konfrontiert.“ Menschen vertrauen ihr Geschichten voller Angst, Scham und Gewalt an – quer durch alle gesellschaftlichen Schichten. Was im Schutz des Kirchraums hörbar wird, bestätigt die Statistiken: Gewalt an Frauen und Mädchen ist überall und lässt Betroffene selten los.

Gewalt gegen Frauen: Fast jeden Tag ein Femizid

Die Lage ist alarmierend: In Deutschland findet fast jeden Tag ein Femizid statt, alle zwei Tage tötet ein Mann seine (Ex-)Partnerin. 63 Prozent der politisch engagierten Frauen erleben digitale Gewalt, 90 Prozent der jungen Frauen empfinden laut der Jugendstudie 2025 nachts starke bis extreme Angst, wenn ihnen unbekannte Männer begegnen. „Das bildet sich auch in der Seelsorge ab“, sagt Schmidt.

In vielen Städten wird gegen Gewalt an Frauen demonstriert (Archiv)
In vielen Städten wird gegen Gewalt an Frauen demonstriert (Archiv)Imago / Müller-Stauffenberg

Zu den Gästen der Kirche gehören beispielsweise täglich auch wohnungslose Menschen, die auf der Straße Übergriffen ausgesetzt sind. Besonders unter den Frauen sind es erschreckend viele, die von Gewalterfahrungen betroffen sind. Aber natürlich geschehe das auch in Familien, Partnerschaften, im eigenen Zuhause. „In einer Gesellschaft, in der die Hemmschwellen immer weiter sinken, steigt offenbar automatisch die Gewalt gegen Frauen.“

Wie spricht man über das Unsagbare? „Betroffene erleben oft eine Abwehrreaktion, wenn sie von ihren Erfahrungen erzählen. Weil ihre Geschichten kaum auszuhalten sind oder weil ihnen nicht geglaubt wird“, erzählt Schmidt.

Pastorin Susanne Schmidt: Gewalterfahrung verjährt nicht

Seelsorge bedeute dann, erst einmal zuzuhören und den Schmerz mit den Betroffenen auszuhalten. „Ich habe keine schnellen Antworten und Lösungen parat. Zuallererst darf der Mensch, mit dem ich spreche, so sein, wie er ist – wütend, ängstlich, sprachlos, ohnmächtig …“

Danach könne man gemeinsam schauen, was hilfreich sein könnte. „Oft erlebe ich, dass es wichtig ist, dass das Erlebte auch viele Jahre später noch Raum bekommen darf, denn Gewalterfahrungen verjähren nicht“, sagt Schmidt. Sie prägten oft ein Leben lang. Andere suchten ein geistliches Gespräch – auf der Suche nach Trost, mit der Sehnsucht nach Heilung oder um ihre ganze Wut vor Gott zu bringen . Wie konnte er zulassen, dass mir das angetan wurde? Das sei eine Frage, die oft im Raum sei und für die es keine einfachen Antworten gebe. Die Frage nach dem Warum bleibe offen. „Gewalt hat keinen Sinn und wird auch keinen Sinn haben.“

Schmidt erlebt häufig, dass Frauen die Schuld bei sich selbst suchen – oder die Schuld ihnen von außen zugeschoben wird. Noch immer werde ihnen oft nicht geglaubt, würden bedrohliche Situationen nicht ernst genommen.

Seelsorge kann nichts ungeschehen machen. Sie kann keine Therapie ersetzen. Aber sie kann ein Schritt auf dem Weg sein, eine Sprache zu finden für das, was geschehen ist, und für das, was helfen könnte, mit dieser Erfahrung weiterzuleben.

Gottesdienst in Kiel zum Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen

Im Gottesdienst zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen am Dienstag, 25. November, um 18 Uhr geht es deshalb nicht um schnelle Lösungen. In Psalm 25, der durch den Gottesdienst leitet, heißt es „Beschämt werden die, die misshandeln“. Das ist ein erster wichtiger Schritt: Schuld und Scham gehören auf die Seite der Täter, nicht auf die Seite der Betroffenen. „Anstelle einer Predigt wird es Stationen geben, an denen die Menschen aufschreiben oder malen können, was sie vor Gott beklagen wollen und was in seinem Namen nicht sein darf. An einer anderen Station geht es um die Frage, woraus ich eigentlich Kraft schöpfen kann – und im Segen kann spürbar werden: Du wirst gesehen.“

Der Gottesdienst richtet sich nicht nur an Betroffene. „Es tut gut zu sehen, dass auch Menschen ohne Gewalterfahrung da sind“, sagt Schmidt. Sie machten sichtbar, dass Gewalt ein gesellschaftliches Problem ist. Gerade Kirche müsse hier laut sein.

„Oft ist die Sehnsucht groß, dass jemand die Probleme einfach und schnell löst. Das können wir natürlich nicht.“ Was sie aber vermitteln könne, sei ein Bild von einem liebenden und zugewandten Gott – im Gegensatz zu jenen Vorstellungen, die Betroffene mit Schuld belasten. Gleichzeitig sieht Schmidt die politische Dimension: Schutzräume und Frauenhäuser werden zurückgefahren, obwohl die Gewalt weiter steigt. „Es braucht mehr Achtsamkeit dafür, wo jeder Einzelne damit beginnt, Grenzen des anderen zu überschreiten.“