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„Geld wie Dreck“

Geld ist genug da. Aber davon müssen alle profitieren. Das ist nicht nur eine Frage der Moral, sondern hat auch mit reinem Eigennutz zu tun: Denn sonst droht irgendwann der große Knall

„Es gibt auf der Erde Geld wie Dreck, es haben nur die falschen Leute.“ Der Satz klingt nach Klassenkampf. Gesagt hat ihn aber der kürzlich verstorbene Heiner Geißler. Der war CDU-Politiker. Die bringt man normalerweise nicht mit Klassenkampf in Verbindung.

Geißler war ein erstaunlicher Mensch (UK berichtete). Vom Scharfmacher des politisch konservativen Lagers in Deutschland zum Globalisierungskritiker – der Wandel des langjährigen CDU-Generalsekretärs hatte fast biblische Züge: vom Saulus zum Paulus. Und tatsächlich spielte die Bibel bei ihm eine grundlegende Rolle: „Die Bergpredigt ist auch der Aufruf zu einer neuen, friedlichen und gerechten Weltordnung.“ Der katholische Christ wurde nicht müde, diese Sicht des Evangeliums zu predigen: Wer an Jesus Christus glaubt, darf sich nicht zufrieden geben mit der extrem ungleichen Verteilung von Geld und Macht.

Mit der Kritik am Geld steht Geißler nicht allein. Auch ein anderer früherer Repräsentant des „Establishments“ prangert die ungleiche Verteilung von Einkommen an. Edzard Reuter stand jahrelang an der Spitze eines Unternehmens, das als Symbol für die Welt der Mächtigen und Reichen gilt: Von 1987 bis 1995 leitete Reuter den Vorstand des Stuttgarter Autokonzerns Daimler. Heute sagt er: Es muss etwas geschehen. „Wir müssen nachsteuern, wenn wir nicht wollen, dass es auch hier in Europa bald selbstverständlich wird, dass wie in den USA unter der Brücke arme Schlucker hausen und oben Millionäre drüberflanieren.“ Immer mehr Menschen mit Zeitarbeitsverträgen stünden Managern gegenüber, die Bezüge im zweistelligen Millionenbereich bekommen, so Reuter in einem Interview der Süddeutschen Zeitung.
Kapitalismuskritik ist nicht neu. In diesem Fall aber kommt sie von Menschen, die lange den Kapitalismus vertreten haben. Man hört bei ihnen heraus, dass das nicht allein eine Frage der Moral ist. Sondern auch mit Realitätssinn zu tun hat.
Denn im Laufe seines Lebens macht ein aufmerksamer Mensch zwei Erfahrungen mit dem Kapitalismus.

Erstens: Ohne Unterschiede geht es nicht. Der Traum von der Gleichheit aller mag Visionen befeuern. Auf lange Sicht aber funktioniert er nicht. In aller Regel wird nur der mehr leisten, der dafür einen höheren Lohn bekommt.
Aber zweitens: Wenn diese Unterschiede zu groß werden, funktioniert es auch nicht. Wenn ein Vorstandsvorsitzender bis zu 400-mal so viel verdient wie der Arbeiter, ist Revolution vorprogrammiert. Oder, mit den Worten von Edzard Reuter: Es wird knallen, wenn wir nicht endlich aufwachen.

Am Sonntag ist Wahl. Egal, welcher Bundestag dann über die Geschicke in Deutschland bestimmen wird: Wir dürfen uns nicht damit zufrieden geben, wie die Dinge sind. Wir – als Bürgerinnen, als Christen, als Kirche – dürfen nicht aufhören, zu mahnen, zu argumentieren und einzufordern: Die Spaltung der Gesellschaft darf nicht noch weiter voran­galoppieren.