Dinge erledigen, die einem am Herzen liegen – im Film “Touch” bricht ein an Alzheimer erkrankter Isländer zu Beginn der Corona-Pandemie nach Japan auf. Er sucht Klarheit über eine 50 Jahre alte Liebesgeschichte.
“Meine Mutter war eine ‘Hibakusha’, eine Überlebende der Atombombe”, sagt Miko (Koki). Ihre Mutter war damals mit ihr schwanger. Obwohl Miko gesund zur Welt gekommen ist, wurden ihre Eltern, insbesondere ihr Vater Takahashi (Masahiro Motoki), mit dieser Bürde nie fertig. Deshalb verließ die Familie ihre Heimat, um in den späten 1960er-Jahren nach London zu emigrieren und dort ein kleines Restaurant zu eröffnen.
Mikos Vater Takahashi hat eigentlich nichts gegen Kristofer (Palmi Kormakur), ganz im Gegenteil. Er hält den isländischen Studenten, der als Tellerwäscher in seinem Restaurant begonnen hat, für talentiert, lernbegierig und an der japanischen (Koch-)Kultur interessiert. Dennoch darf Takahashi nichts von der aufkeimenden Beziehung zwischen ihm und Miko erfahren. Auch in dieser Beziehung sind Japaner höchst eigen. Ebenso wie Kristofer nie erfahren hat, warum er eines Tages vor den für immer verschlossenen Türen des Restaurants stand. Die Familie habe überstürzt die Stadt verlassen, hieß es lapidar. Keine weitere Nachricht, nur ein letzter Gehalts-Check.
Kristofers Geschichte von der großen, unmöglich erscheinenden Liebe erzählt Regisseur Baltasar Kormakur in seinem behutsamen Film “Touch”, was “Berührung”, aber auch “Rührung” meinen kann, gleich zweimal. Aus der Perspektive des immerwährenden Glücks und der immerwährenden Wehmut. Denn auch 50 Jahre später denkt Kristofer immer noch an die abrupt endenden glücklichen Tage im London der Swinging Sixties mit all den Gefühlen von Freiheit und der Liebe über Grenzen und Kulturen hinweg. Damals ist er wütend-frustriert und auch ein wenig gebrochen nach Reykjavik zurückgekehrt. Er hat sein Studium nicht beendet, sondern selbst ein Restaurant eröffnet, geheiratet und mit Frau und Stieftochter ein glückliches Leben geführt.
Doch nun, als Witwer, wird sich der lebensfrohe Mann (Egill Olafsson) schmerzhaft seiner eigenen Endlichkeit bewusst. Zumal sein Arzt die Diagnose einer fortschreitenden Alzheimererkrankung mit dem Rat verbindet, die Dinge zu erledigen, die ihm am Herzen lägen – solange er sich noch an sie erinnern kann. Gegen den Willen seiner Stieftochter macht er sich zu Beginn der Corona-Pandemie nach London auf. Der fünfzigjährigen Ungewissheit und seines Seelenfriedens willen.
“Touch” ist Romantik ohne Comedy, dafür mit umso mehr Herzblut. Der Film folgt keiner linearen Erzählstruktur, sondern verschachtelt den Stoff zumindest anfänglich durch zahlreiche Rückblenden. Die Zeit des Glücks in den 1960er-Jahren wechselt immer wieder mit der Zeit der Wehmut in den 2020er-Jahren, was das eine weniger kitschig und das andere besser erträglich macht. Während die Swinging Sixties für die Jugend und die herzerfrischende Unbeschwertheit stehen, mit der sich die Hürden (und Bürden) unbekannter Kulturen überwinden lassen, markiert die Gegenwart die Reife des Alters, welche die Unbeschwertheit der Jugend einfängt und dem Pragmatismus Raum gibt. Man kann eben nicht immer alles haben, auch wenn man dies noch so sehr wünscht. Denn es gibt Regeln des Zusammenlebens und des Funktionierens. Das fängt bei den Familienbanden an, hört bei den Traditionen nicht auf.
Dennoch fragt man sich zunehmend zweifelnd und ungehaltener, warum das so sein muss. Und das nicht nur angesichts des tragischen Schicksals von Kristofer und Miko. Wer macht denn diese Regeln? Wer tradiert diese Gleichmütigkeit, mit der man sein Schicksal ertragen muss, wenn das Glück doch so nahe ist? Dieser innere Aufschrei wird besonders greifbar, wenn die Reise den stoischen Protagonisten ins Reich unbewältigter Gefühle bis nach Japan führt.
Die kitschig-traurige, aufwühlend-aufregende Geschichte lehrt dabei vor allem eines: dass das Glück nämlich nicht darin besteht, alles an sich zu reißen, ungeachtet der Schäden, die ein solcher vielleicht nachvollziehbarer Akt bei anderen bewirkt. Glück bedeutet hier vielmehr die Freude an Dingen, auf die man aus der Ferne blickt. So gehört zur Weisheit eben auch eine innere Stärke, sich an einem wunderbar saftigen Steinpilz im Wald zu erfreuen – und an ihm vorbeizugehen. Vielleicht darf man nicht gerade ein Koch sein, um so zu empfinden, sondern muss in den Schuhen einer altruistischen Japanerin oder eines die Natur verinnerlichenden Isländers gegangen sein, um das nachvollziehen zu können. Den Zuschauern fordert diese Erkenntnis in jedem Fall die eine oder andere Träne ab. Hoffentlich auch solche des Glücks.