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Gedenkstätten mit neuen Leitlinien zur Erinnerungskultur

Wie soll in Deutschland erinnert werden – und an was? Dazu gibt es unterschiedliche Ansichten in Gedenkstätten und im Hause von Kulturstaatsministerin Roth. Die Gedenkstätten-Leitungen haben sich Gedanken gemacht.

Mit neuen Leitlinien zur Erinnerungskultur stellen sich Gedenkstätten in Deutschland gegen umstrittene Pläne von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne). Das neue Papier thematisiere grundlegende Punkte für eine Fortschreibung des Konzepts für NS- und SED-Gedenkstätten, sagte der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Freitag. Zuvor hatte der “Spiegel” darüber berichtet.

Im Kern gehe es darum, die historischen Orte zu stärken, gerade auch mit Blick auf eine Zunahme “geschichtsrevisionistischer Legenden” im Internet, erklärte Wagner. Auch müssten die Verbrechen der Nationalsozialisten herausgehoben behandelt werden. Die Gedenkstättenleitungen seien ausdrücklich dafür, dass die kritische Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus Teil staatlich geförderter Erinnerungskultur werde, betonte Wagner. Wichtig sei jedoch, dass verschiedene Epochen nicht kommentarlos nebeneinander stünden. Es brauche stattdessen eine Gewichtung und Einordnung in Zusammenhänge. Als Geschichtsrevisionismus bezeichnet man Versuche, ein wissenschaftlich, politisch und gesellschaftlich anerkanntes Geschichtsbild zu verändern, indem bestimmte historische Ereignisse wesentlich anders als in der gegenwärtigen Geschichtswissenschaft dargestellt werden.

Der “Jüdischen Allgemeinen” (Freitag) hatte Wagner gesagt, dass das “Rahmenkonzept Erinnerungskultur” von Roth wohl mittlerweile hinfällig sei. Darin geht es nicht nur um das Gedenken an NS-Zeit, Schoah und die deutsche Teilung. Daneben identifiziert Roth den Kolonialismus, die Einwanderungsgesellschaft und die Kultur der Demokratie als zusätzliche Pfeiler der Erinnerungskultur.

Vertreter von Gedenkstätten, die an Unrecht und Verbrechen in der NS-Zeit und während der DDR erinnern, üben seit Wochen Kritik an dem Konzept. Sie sehen etwa eine Gefahr in einem Nebeneinanderstellen von zu unterschiedlichen Verbrechenskomplexen. Dagegen hatte kürzlich der Hamburger Historiker und Kolonialismus-Experte Jürgen Zimmerer Roths Überlegungen als “großen Wurf” bezeichnet. Ihr Konzept eröffne “den längst überfälligen Raum für Kolonial- und Migrationsgeschichte”, sagte Zimmerer der KNA.

Wagner betonte, dass die jetzt erstellten Leitlinien der Gedenkstätten ein internes Papier seien. Das Haus von Staatsministerin Roth kenne sie, da beide Seiten “konstruktiv gemeinsam” arbeiten wollten. Das bedeute nicht, dass künftig nicht öffentlich über das Thema diskutiert werden solle, denn schließlich gehe es die gesamte Gesellschaft an. Man wolle insgesamt in eine grundlegend neue Diskussion eintreten.