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Frustrierte Patienten: Viele Ärzte telefonisch nicht mehr erreichbar

Wer beim Arzt telefonisch einen Termin vereinbaren will, hat immer häufiger kein Glück: Es geht keiner ans Telefon. Ärzte klagen über Überlastung – und Patienten sind frustriert.

Eine Arzthelferin nimmt Terminanfragen entgegen: Die Realität sieht leider oft anders aus
Eine Arzthelferin nimmt Terminanfragen entgegen: Die Realität sieht leider oft anders ausImago / Shotshop

Mal schnell beim Arzt anrufen, um einen Termin wegen des Dauerhustens der Tochter zu vereinbaren. Oder weil man selbst die empfohlene Gesundheitsvorsorge ab 50 Jahren in Anspruch nehmen will: Was jahrzehntelang unproblematisch war, funktioniert seit einigen Jahren nicht mehr. Der Grund: In vielen Arztpraxen geht niemand mehr ans Telefon. Ansagen verweisen auf die Möglichkeit, online einen Termin zu vereinbaren. Manche versuchen, die Anliegen mit Künstlicher Intelligenz zu lösen: “Hallo, ich bin Aaron, der digitale Assistent der Praxis. Bitte rufen Sie später wieder an.”

Christine Neumann-Grutzeck, Präsidentin des Berufsverbandes Deutscher Internistinnen und Internisten, sagt: “Das hat mehrere Ursachen. Vor allem ist es schwer, Personal zu bekommen.” So gebe es bundesweit einen Mangel an Medizinischen Fachangestellten. “Gerade seit der Corona-Pandemie, die uns in den Praxen viel Kraft gekostet hat, sind viele Fachkräfte gegangen. Zudem ist die Bezahlung in Krankenhäusern oder im Pflegebereich besser.”

Arztpraxen kämpfen mit der Bürokratie

Außerdem kämpfe man mit der Bürokratie: 55 Millionen Netto-Arbeitsstunden würden dafür in Vertragsarztpraxen aufgewendet, so eine Untersuchung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Hinzu kommt der Ärztemangel, der auch zum Patientenstau führt: Zurzeit sind rund 5.000 Hausarztpraxen in Deutschland nicht besetzt – Tendenz steigend.

Neumann-Grutzeck wirbt für ein positiveres Berufsbild der Fachangestellten: “Ohne sie können wir nicht arbeiten. Die sitzen ja nicht nur am Telefon, sondern müssen E-Mails beantworten, die Patienten in Empfang nehmen oder auch bei Untersuchungen assistieren.” Zeit, die dann wiederum fehlt, um anrufenden Patienten weiterzuhelfen.

Für Patienten: Mischung von digitaler und analoger Hilfe

Hier sei eine Mischung von digitaler und analoger Hilfe sinnvoll, um die Frustration bei den Patienten möglichst gering zu halten: “Bei medizinischen Fragen ist es natürlich am besten, wenn der Patient mit einem Menschen kommunizieren kann. Wenn es allerdings darum geht, herauszufinden, wann der eigene Termin nochmal vereinbart wurde, kann man das auch online selbst nachschauen.” Auf diese Weise würden die Praxen entlastet – und hätten wieder mehr Möglichkeiten, Telefonanrufe zu beantworten.

Denn darauf sind besonders viele ältere Menschen angewiesen, die sich vielleicht nicht im Internet zu Hause fühlen oder gar keinen Internetanschluss besitzen. Eine Umfrage der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) von 2022 zeigt, dass ältere Menschen ohne Internet im Gesundheits- und Pflegebereich auf zahlreiche Schwierigkeiten stoßen. Am häufigsten genannt wurde darunter die Kontaktaufnahme zum Arzt.

Telefonsprechzeiten werden weniger

Viele der älteren Menschen berichten demnach, dass die Angebote einer telefonischen Terminvereinbarung immer weiter abnähmen. Die Folge seien stark reduzierte Zeiten, in denen telefonisch Kontakt aufgenommen werden kann, was aber wiederum dazu führt, dass der Anschluss dauerhaft besetzt ist oder stundenlange Wartezeiten in Kauf genommen werden müssen – ein Problem, das auch jüngere Menschen haben, die wegen ihrer Berufstätigkeit nur begrenzt in einer Warteschleife hängen können.

Eine Dame von 66 Jahren schildert das Problem so: “Beim Versuch, einen Facharzttermin zu machen, habe ich 1,5 Wochen zu unterschiedlichen Tageszeiten telefoniert, bis ich eine Praxisangestellte erreichen konnte. Vorher lief permanent der AB mit der Aufforderung, eine E-Mail zu schicken. Das ist kein Einzelfall und sehr bedrückend, denn es braucht für eine einfache Sache sehr viel Zeit und Energie. E-Mail kann ich nicht.”

Termine beim Arzt online machen: Problem für ältere Menschen

Eine Situation, die Regina Görner vertraut ist. Sie ist Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen und stellt klar: “Einen Arzttermin zu vereinbaren ist ohnehin eine Situation, die der Betroffene als stressig empfindet, weil es um die eigene Gesundheit geht. Das ist keine Dienstleistung wie etwa das Vereinbaren eines Friseurtermins. Jeder hat einen Anspruch darauf, diese Dienstleistung auch zu bekommen. Zumal man gesundheitliche Probleme auch nicht auf die lange Bank schieben sollte.”

Hinzu komme, dass viele ältere Menschen allein leben und sie somit auch niemandem direkt fragen können, der ihnen etwa helfen könnte, online weiterzukommen. “Und sie können auch nicht immer einfach schnell in eine Arztpraxis gehen, um persönlich einen Termin zu vereinbaren, weil sie vielleicht nicht mehr so mobil sind.” Dies führe zu einer Abnahme der Selbstständigkeit von älteren Menschen – und reduziere das Wohlfühlgefühl im direkten Umfeld und in der Gesellschaft allgemein. “So etwas macht die Menschen in ihrem eigenen Umfeld heimatlos”, kritisiert Görner.

Mehr Gewalt in Arztpraxen seit Corona

Internistin Neumann-Grutzeck macht auch eine veränderte Patientenpersönlichkeit aus: “Die Anspruchs- und Erwartungshaltung ist gestiegen. Außerdem gibt es mehr Aggression und Gewalt in Praxen, das hat besonders seit der Corona-Pandemie zugenommen.” Zudem sei das Patientenaufkommen höher als früher. “Man geht heute schneller zum Arzt. Viele googeln irgendwelche Informationen im Netz, die sie dann verunsichern. Eigentlich benötigen wir bereits in der Schule eine bessere Gesundheitsbildung, damit die Menschen ihre Probleme besser selbst einschätzen können.” Auch das könne die Arztpraxen langfristig entlasten.