Betroffenen zuhören und daraus Schlüsse ziehen, so lautet ihr Credo. Sie hat das gemacht – als Senatorin, Ministerin und als erste Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung. Nun wird Christine Bergmann 85 Jahre alt.
Neuen Herausforderungen ist sie nie aus den Weg gegangen. Als die damalige Bundesregierung vor 14 Jahren nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche und anderen Einrichtungen eine kompetente Ombudsfrau suchte, zögerte sie nicht lange und sagte zu. Die frühere Bundesfamilienministerin baute die Stelle auf, hörte unzähligen Opfern zu und arbeitete Empfehlungen aus, wie Betroffene besser unterstützt werden können. Am Samstag wird Christine Bergmann 85 Jahre alt.
Bergmann wurde 1939 in Dresden geboren. Ihre frühesten Kindheitserinnerungen sind die Luftangriffe auf die Elbstadt am 13. Februar 1945. Zwei Brandbomben seien auf das Wohnhaus gefallen, sagte sie in einem Interview. “So ein Erlebnis wird man nie los.”
Wie viele Regierungsverantwortliche in Ostdeutschland ging Bergmann erst nach der Wende in die Politik. In der DDR hatte sie Anfang der 1960er Jahre ein Pharmaziestudium abgeschlossen und war viele Jahre am Institut für Arzneimittelwesen tätig. Im Jahr der friedlichen Revolution 1989 wurde sie mit 50 Jahren an der Humboldt-Universität in Berlin promoviert.
Mit ihrer politischen Karriere ging es dann Schlag auf Schlag: An der Mauer der Gethsemane-Kirche im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg sah sie einen Hinweis auf die Gründung der SDP, einer sozialdemokratischen Partei in der DDR, die sich nach einigen Monaten mit der West-SPD vereinigte. Bald gehörte Bergmann der Stadtverordnetenversammlung im Ostteil der Stadt an. Bereits 1991 wurde sie ins Berliner Abgeordnetenhaus gewählt und schließlich Senatorin für Arbeit und Frauen. Die SPD wurde auf Dauer zu ihrer parteipolitischen Heimat.
Nach dem Regierungswechsel von 1998 auf Bundesebene war sie bis 2002 Familienministerin in der ersten rot-grünen Bundesregierung. Ihr Ministerium bezeichnete der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) noch als Ministerium “für Frauen und das ganze andere Gedöns”. Die Frau aus dem Osten, die selbst als Mutter von zwei längst erwachsenen Kindern stets berufstätig war, ließ sich davon nicht beirren.
In ihrer Amtszeit tat sie viel für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aus dem Erziehungsurlaub wurde die Elternzeit, die beide Elternteile auch gleichzeitig nehmen konnten. Zudem wurde das Recht von Kindern auf eine gewaltfreie Erziehung gesetzlich verankert.
Sie hatte sich schon weitgehend aus der Politik zurückgezogen, als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sie schließlich 2010 zur ersten Missbrauchsbeauftragten ernannte. Bergmann setzte sich dafür ein, dass die Stelle nicht nach gut einem Jahr wieder wegfiel, sondern verlängert wurde und inzwischen dauerhaft eingerichtet ist. Auch nach der Amtsübernahme durch ihren ehemaligen Büroleiter Johannes-Wilhelm Rörig blieb sie dem Thema verbunden.
Als Mitglied der Aufarbeitungskommission kümmerte sie sich stark um die Aufarbeitung von Missbrauch in der DDR. Aus dem Gremium zog sie sich zwar im vergangenen Jahr zurück; bei der Eröffnung der neuen Ausstellung im ehemaligen Jugendwerkhof im sächsischen Torgau will sie im November aber trotzdem dabei sein.
In ihrer zumindest im Berufsleben rar bemessenen Freizeit wanderte sie immer gerne. Sehr lange war dabei ihr Mann ein kongenialer Partner. Nachdem er vor acht Jahren an den Folgen von Parkinson starb – Bergmann hatte ihn bis zu seinem Tod gepflegt -, entdeckte sie das Pilgern für sich. Auch um den Verlust zu verarbeiten, habe sie dann eine Auszeit genommen, sagte sie in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Sie erinnerte sich an ein Ministertreffen in Santiago de Compostela und an die vielen Pilger und machte sich selber auf den Weg – zusammen mit ihrem Enkel, damals 21 Jahre. So wurde sie “vom Pilgervirus infiziert”, wie die engagierte Protestantin einmal erzählte.
Es folgten weitere Touren. Nach einer Hüft-OP zu Jahresbeginn will sie – Bergmann hat inzwischen zwei Urenkel – im September in Südtirol zusammen mit ihrer Tochter wieder wandern, “allerdings nur Tagestouren”, winkt sie ab.
Das politische Geschehen verfolgt sie nach wie vor. Mit Sorge blickt sie auf die drei Landtagswahlen, die im September in Ostdeutschland stattfinden. Dass dort rechtspopulistische Parteien im Aufwind sind, treibt sie um – vor allem, dass Gruppierungen die Demokratie verächtlich machen. Da mache es ihr Mut, wenn Menschen versuchten, gegenzusteuern. Sie begrüßt auch ein Statement der DDR-Bürgerrechtler, die Anfang August vor einer Regierungsbeteiligung der neuen Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) warnten.