Wie aus einer Traumwelt erscheinen die rätselhaften Figuren in den Fotografien von Iwajla Klinke. So gibt es Kinder, die wie mystische Wesen wirken. Die Bilder sind nun in Freising zu sehen.
Ohne Rituale können Menschen vermutlich nicht leben. Bis heute sind diese in Gesellschaften tief verwurzelt. Was sie bedeuten, mag oft nicht mehr bewusst sein. Manche existieren auch nur noch in entlegenen Gegenden. Die bis 3. August im Diözesanmuseum Freising zu sehende Sonderschau “The Nymphs are departed” mit Fotografien von Iwajla Klinke nimmt einen mit in die Welt religiöser Bräuche, die ihre Wurzeln oft im Heidentum haben.
Die 1976 in Greifswald geborene Künstlerin spürt diesen Traditionen seit vielen Jahren nach. Dafür reist sie in Dörfer und abgeschiedene Bergtäler, nach Brasilien, Mexiko, auf die Philippinen, auf schottische Inseln oder in die Lausitz. Sie ist fasziniert von den in oft kleinen Gemeinschaften gelebten Bräuchen, angezogen von deren mythischer Atmosphäre, von uralten Feierlichkeiten; vor allem von Festen zu Übergangszeiten wie Silvester, Neujahr, Fastnacht, Karwoche, Ostern, Pfingsten, Fronleichnam und Mariä Himmelfahrt.
Klinkes fast lebensgroße Bilder wirken wie aufwendig inszenierte Studiofotografien. Tatsächlich macht sie diese in den Straßen, auf Höfen und Plätzen, häufig unter Zeitdruck und einfachsten Bedingungen. Klinke reist allein, ohne Auto. Als Ausrüstung genügen ihr ein schwarzes Tuch als Hintergrund und eine digitale Spiegelreflexkamera. Die Fotografin interessiert bei Festen vor allem die rituelle Verwandlung der Mitwirkenden. Sie porträtiert Kinder und Jugendliche in zeremoniellen Gewändern, die Teil von etwas Größerem geworden sind.
Oft wartet Klinke stundenlang, bis die Kinder umgekleidet sind, um sie dann kurz vor der Kamera zu haben. Sie macht kaum Vorgaben, nur lachen sollen die Porträtierten nicht. So strahlen die Gesichter und Körper einen Stolz, etwas Majestätisches und Entrücktes aus. All dies erinnert an Porträts der Gotik und Renaissance oder an Ikonen. Geheimnisvolle Bilder entstehen, die wie herausgelöst aus Raum und Zeit erscheinen. Die Fotografin arbeitet nur mit seitlich einfallendem Tageslicht, das die Details der Trachten zur Geltung bringt: filigran bestickte Stoffe, Schleifchen, Glasperlen, Häkelschmuck.
Bei vielen Bräuchen und Festen verkörpern bis heute nur Männer sämtliche Figuren – auch die weiblichen. Klinkes Fotos von Jungen und Heranwachsenden, die in kostbaren Trachten, Brautkleidern oder sakralen Gewändern Marienfiguren, Jungfrauen oder Bäuerinnen darstellen, hinterfragen auch feste Geschlechterrollen. Die Zeit vor der Pubertät beschäftigt die Künstlerin insofern, als diese eine Zeit der Verwandlung darstellt, ein Übergang von einer Daseinsform zur nächsten.
Klinke fotografiert gern Kinder, weil diese den Glauben an die Existenz mythischer Welten noch nicht verloren hätten: “Die Kinder haben das Wissen über diese Traditionen nicht, aber sie spüren in den Ritualen, dass etwas Besonderes, Heiliges geschieht.” Die Kinder schauen, als würden sie in eine jenseitige Welt blicken: ein niederbayerischer Bub, der mit Blumen und Blättern in einen “Pfingstler” verwandelt wird; ein mährischer Junge, der als Mädchen verkleidet an Pfingsten zum König des Ortes wird; ein Junge in Valencia, der bei einer Prozession zu Mariä Himmelfahrt die Muttergottes verkörpert.
Bei den “Herodes-Umzügen” an Silvester in rumänischen, ukrainischen und moldawischen Städten verschleiern die Jungen ihre Augen mit Damen-Colliers und Perlen. Mit ihrer riesigen Kopfbedeckung verschwinden sie hinter dem Schmuck und ihre Individualität wird ausgelöscht. Während der Karwoche verkleiden sich junge Männer auf den Philippinen mit prunkvollen Blumenhauben und Röcken aus getrockneten Palmblättern als Blumengötter. Zugleich sind sie als Flagellanten unterwegs, die sich bei Umzügen den Rücken blutig peitschen.