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Fest der Demokratie

An diesem Sonntag wird der 20. Deutsche Bundestag gewählt. In Berlin findet auch die Wahl des Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen statt und die Abstimmung über den Enteignungs-Volksentscheid. Drei Kreuze machen? Warum Demokratie ein großes Glück ist und was es bedeutet, Haltung im Zeichen Jesu zu zeigen.

Von Christian Stäblein

Liebe Leserinnen und Leser, drei Dinge zu diesem Wahlsonntag, wenn Sie so wollen –drei Kreuze.

Erstens: Wahlsonntage sind die Feste der Demokratie. Und also ­heißen die Zusammenkünfte nach 18 Uhr Wahlpartys. Demokratie ist ein großes Glück, allerdings nicht vom Himmel gefallen, sondern erstritten – zuletzt vor über 30 Jahren in der Friedlichen Revolution mit Herz und Verstand, mit ­Gebeten und Kerzen erkämpft. Wahl(sonn)tage sind das Herzstück und das Lebenselixier funktionierender Demokratie. Also, unisono und vielstimmig dieser Tage der Aufruf, auch von mir: Gehen wir, gehen Sie wählen! 

Die Demokratie lebt davon, dass wir alle mitgestalten, dass es kein fernes „die da oben“ gibt, auf das man immer schimpft. Streit um ­Positionen fördern, Unterschiede und Vielfalt zulassen, gestalten, als Reichtum sehen – für viele Menschen in anderen Ländern ist das ferne, tiefe Sehnsucht. Manchmal vergesse ich das in den Untiefen des Wahlkampfes, wenn auch notwendig, um die verschiedenen Optionen klar zu bekommen. Wenn wir am Sonntag den Kopf in der Wahlkabine senken, um die Kreuze zu machen, dann darf der Blick festhalten: Wahlen sind Festtage, auch wenn nicht alle in gleichem Maße am Ende des ­Tages feiern. 

Zweitens: Wir spüren die Dringlichkeit, ja Unbedingtheit der ­Herausforderungen, vor denen wir gesellschaftlich stehen. Die Fragen des bezahlbaren Wohnraums sind existenziell. Der zum Teil brutale Verdrängungswettbewerb, der hier stattfindet, geht uns alle an. Die Bewältigung der Pandemie, der Blick auf die viel zu lange übersehenen Kinder und ihre Bildungs- und Lebenschancen fordern ein Aufmerken. Die Veränderung von Arbeitsleben und Alltagsgestaltung durch die Digitalisierung ist eine alles umwälzende Erfahrung, die wahrlich Power braucht. Schließlich, wir spüren es: Der menschengemachte Klimawandel ist die Aufgabe dieser Generation. Es ist schon lange nicht mehr fünf vor zwölf, sondern längst fünf nach oder noch später. Jüngere Menschen sind mehr und mehr frustriert, wie viel an dieser Stelle geredet, aber wie wenig gehandelt wird. Sie rütteln auf. 

Dass es auch am Festtag der Demokratie diese gegen ihre Feinde zu verteidigen gilt, dass Menschenfeindlichkeit und Ausgrenzung keine Option sind, dürfte sich in all dem von selbst verstehen. 

Wir wissen um die Unbedingtheit dieser Lebensprozesse. Zugleich wissen wir um unsere ­Begrenztheit. Demokratie ist jene Lebensform, die, indem sie Macht immer nur auf Zeit vergibt, Grenzen sichtbar macht und so gestaltet. Ich finde das wichtig. Die eigenen Grenzen anerkennen, heißt barmherzig mit sich und mit anderen sein können. Und gerade dabei das Unbedingte, das Drängende nicht aus dem Blick verlieren.  

Drittens: Christliche Überzeugung ist, dass die gute Botschaft des Evangeliums in all ihren Facetten auch gesellschaftlich wirkt. Zugleich lehren Theologie und Glaube die Kunst des guten Unterscheidens von Weltbezügen und Glaubenswahrheiten. Aus dem Evangelium folgt eine Haltung, aber nicht eine Wahlempfehlung für diese oder jene Partei. Die Zeit, in der Hirtenbriefe Empfehlungen – etwa in ­dieser Zeitung? – ausgesprochen haben, ist glücklicherweise lange vorbei oder war vielleicht auch nie. Was nicht heißt, dass christliche Perspektive nicht eigenes einzutragen hätte, vor allem und als Erstes: ein Achten und Stehen bei den so oft Übersehenen, bei den an den Rand Gedrängten. Hier finden Sie uns, unsere Kirche. 

Dass es auch am Festtag der ­Demokratie diese gegen ihre Feinde zu verteidigen gilt, dass Menschenfeindlichkeit und Ausgrenzung keine Option sind, dürfte sich in all dem von selbst verstehen. Gerade im Unbedingten ist unsere christliche Überzeugung klar. 

Drei Kreuze machen – ich weiß, an diesem Sonntag dürften das hier und da zu wenige, andernorts schon zu viele sein. „Drei Kreuze machen“ meint umgangssprachlich ja: erleichtert sein. Der religiöse Ursprung der Redensart liegt wohl in der handgreiflichen Erinnerung an die eigene Haltung im Zeichen Jesu. Sie soll es leicht machen. Im ­Bewusstsein der eigenen Grenzen füreinander da sein. Und für die Schöpfung. Unbedingt. Wollen alle. Und das ist auch gut so.