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Fasziniert vom ganz Anderen

Rabbiner Walter Homolka, der an die Spitze der liberalen Juden gewählt wurde, hat Erfahrungen in vielen Bereichen

KNA

Sein Lebenslauf hat es in sich. Er ist ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen. Wirtschaftswissenschaftler und jüdischer Theologe, ein Bein im weltlichen Leben und eins im geistlichen, wie er selbst sagt. Walter Homolka (53) ist eine Ausnahmefigur.

Früherer Investmentmanager der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank, wo er den ersten deutschen Umwelt-Ethik-Fonds gründet. Anfang der 90er Jahre wird Homolka Vorstandsassistent der Bertelsmann AG in München und persönlicher Referent des Vorstandsvorsitzenden Mark Wössner. Zwei Jahre später ist er Kaufmännischer Direktor beim Siedler-Verlag, 1998 Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland und im Jahr 2000 Kultur-Chef der Deutschen Bank.
Doch mehr und mehr stützt sich Homolka auf sein geistliches Standbein und wird damit einer der bekanntesten Vertreter des deutschen Judentums. Seit 1997 Rabbiner, ist er Rektor des 1999 von ihm mitgegründeten Abraham-Geiger-Kollegs in Potsdam, an dem liberale Rabbiner und Kantoren ausgebildet werden, außerdem seit 2014 Professor für Jüdische Religionsphilosophie der Neuzeit und Geschäftsführender Direktor der School of Jewish Theology der Uni Potsdam. Kürzlich wurde er in Bonn auch noch zum neuen Vorsitzenden der Union progressiver Juden (UpJ) gewählt, dem Zusammenschluss von 26 liberalen Gemeinden in Deutschland mit rund 5200 Mitgliedern.
Auch religiös ist der 53-Jährige einen weiten Weg gegangen. Geboren wurde er im niederbayrischen Landau in einer katholischen Familie; die Mutter war eine Musikerin jüdischer Herkunft. Mit siebzehn konvertierte er zum Judentum. „Mich faszinierte die klare Lehre vom verborgenen Gott, dem letztlich ganz Anderen“, erklärt er im Rückblick. Vielleicht sei es aber auch ein Stück weit ein Protest gegen das Sinnmonopol seiner damaligen katholischen Umgebung gewesen. Letztlich aber stelle Gott die Menschen eben dahin, wo er eine Aufgabe für sie hat.
All das hat Homolka offenbar die Beharrlichkeit verschafft, das eigentlich Unmögliche möglich zu machen: Erstmals nach dem Holocaust in Deutschland wieder liberale Rabbiner auszubilden – und das mittlerweile an einer staatlichen Hochschule.
Homolka wirbt für ein Judentum der Vielfalt. Dass er gleich nach der Wahl an die Spitze der liberalen Gemeinden bekundete, an einer konstruktiven Zusammenarbeit mit dem Zentralrat der Juden interessiert zu sein, hat seinen Grund auch in Spannungen zwischen den Richtungen des Judentums. Zur Jahrtausendwende hatten Vertreter des orthodoxen Judentums und des Zentralrats bis hinauf zu den Vorsitzenden Ignatz Bubis und Paul Spiegel Homolka sowohl des Judentum als auch die Qualifizierung als Rabbiner abgesprochen.
Homolka setzt sich für einen respektvollen Umgang aller Religionen miteinander ein und fordert gemeinsame Allianzen gegen Antisemitismus. Er sucht ein „gedeihliches Miteinander“ auf Augenhöhe auch mit dem Islam. Schließlich unterlägen Muslime, Juden und Christen dem gemeinsamen Erbe unter ein und demselben Gott.
Durchaus kritisch äußert sich Homolka zum christlich-jüdischen Dialog, an dem er sich sehr intensiv beteiligt. Oft bezögen sich Christen auf ein Judentum, wie es zur Zeit Jesu bestanden habe, bemängelt Homolka. Sie ignorierten „2000 Jahre Glaubensgeschichte“, kritisierte er noch im Juni in Wittenberg. Jahrhundertelang habe die Kirche ihre Botschaft auf der Grundlage der Behauptung vorgetragen, dass das Judentum als „defizitäre Vorform“ des Christentums religiös versagt habe.
Demonstrativ sagte er 2008 seine Teilnahme am Deutschen Katholikentag in Osnabrück ab, weil Papst Benedikt VI. die katholische Karfreitagsfürbitte für die Juden in der lateinischen Fassung so verändert habe, dass sie die Judenmission billige. Homolka erklärte damals, Gott habe die Juden zum „Licht unter den Völkern“ berufen, daher sei sicher keine Erleuchtung durch die katholische Kirche nötig.