Aus dem Rheinland über Berlin nach Rom zurück ins Schwabeländle: Annette Schavan hat eine steile politische Karriere mit vielen Höhen und Tiefen durchgemacht. Am 10. Juni wird sie 70 Jahre alt.
Es erinnert ein wenig an eine Kaffeewerbung: Annette Schavan im roten Blazer auf rotem “motorino”, dem typischen italienischen Motorroller, vor dem Petersdom. Fragt man die ehemalige Vatikanbotschafterin nach einem Foto, schickt sie diese filmreife römische Szene. “Als ich zurückkam, habe ich mir vorgenommen, eine Spur italienischer Lebensart zu behalten”, erzählt Schavan im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin. Diese Verbindung von Gelassenheit und Kreativität auch im größten Chaos habe auf sie bis heute eine große Faszination.
Gelassen wirkt die gebürtige Rheinländerin, die am 10. Juni 70 Jahre alt wird. Sie kann auf eine vielseitige und erfolgreiche Karriere zurückblicken, von der Landes- zur Bundesministerin, über die Vize-Parteivorsitzende bin hin zur Vatikandiplomatin – viele Stationen an der Seite ihrer Freundin, der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Das kirchliche Engagement ist dabei Wegbegleiter. Über viele Jahre war sie Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) – von 1994 bis 2005 dessen Vizepräsidentin.
Aufgewachsen im rheinischen Neuss, studierte Schavan katholische Theologie, Philosophie und Erziehungswissenschaft in Bonn und Düsseldorf. 1980 begann sie ihre berufliche Laufbahn bei der Studienförderung Cusanuswerk in Bonn. 1991 übernahm sie die Leitung des Begabtenförderungswerks der katholischen Kirche.
1995 wurde sie in ihrer Wahlheimat Baden-Württemberg Kultusministerin. In den zehn folgenden Jahren stieß sie nicht nur neue Unterrichtsstrukturen und Fremdsprachenunterricht an Grundschulen an, sondern setzte auch das bis heute umstrittene Abitur in 12 Jahren durch.
Aus dem Ländle wechselte sie 2005 nach Berlin. Als Bundesministerin für Bildung und Forschung setzte sie ab 2005 deutliche Akzente, die aus der Wissenschaft und Politik gewürdigt wurden. Mit ihrer Amtszeit verbinden sich Initiativen wie die Fortsetzung und Weiterentwicklung der Exzellenzinitiative, der Pakt für Forschung und Innovation und der Hochschulpakt 2020.
Ein Tiefpunkt in Schavans Karriere war der Plagiatsverdacht gegen ihre Dissertation “Person und Gewissen. Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung” aus dem Jahr 1980. Die Ministerin wies die Täuschungsvorwürfe stets zurück. Die Prüfer kamen zu einem anderen Urteil. Als sie im Februar 2013 ihren Doktortitel zurückgeben musste, trat sie auch als Bundesministerin zurück.
Alle Versuche, die Entscheidung der Universität Düsseldorf rückgängig machen zu lassen, scheiterten vor Gericht. Da sie ihr Studium mit der Dissertation abgeschlossen hatte, ohne vorherige Abschlüsse, war es ein herber Verlust für die ehemalige Bildungsministerin.
Freundin und Kanzlerin Merkel ließ Schavan nur sehr ungern ziehen. Wie groß die Wertschätzung war, zeigte sich bei der Ernennung Schavans zur deutschen Botschafterin beim Heiligen Stuhl 2014. Bis 2018 gelang es der Nicht-Diplomatin, die Botschaft im Vatikan zu einer wichtigen Drehscheibe für Politiker, Wissenschaftler und Religionsvertreter aus aller Welt zu machen. Die Kanzlerin und zahlreiche Ministerpräsidenten erhielten in ihrer Amtszeit eine Privataudienz beim Papst.
Dank ihrer Kontakte in Politik und Wissenschaft ging sie theologische ebenso wie politische Themen an: Gesprächsabende mit Kardinälen und Bischöfen sowie Vertretern von Islam und Judentum; Konferenzen an der Päpstlichen Universität Gregoriana zur Kirchengeschichte oder zum Klimaschutz gemeinsam mit den Botschaften Georgiens und der Niederlande. “Ich habe in Rom oft gesagt, dass ich die Botschafterin aus dem Land der Reformation bin”, sagt Schavan rückblickend. Eine Ambivalenz zwischen römischer katholischer Kirche und der katholischen Kirche in Deutschland habe sie schon damals gespürt.
Nicht immer war der Dialog mit den Kirchen einfach. Sie erinnere sich an frühere harte Auseinandersetzungen, etwa bei der Stammzellforschung. “Streit gehört zur demokratischen Kultur”, sagt Schavan. Zugleich findet sie, dass insbesondere ihre Partei, die Christliche Demokratische Union, sich immer für die Kirche und deren Anliegen interessieren muss. “Das Schlimmste wäre Gleichgültigkeit.”
Derzeit ist Schavan Vorstandsvorsitzende der Hertie-Stiftung und Kuratoriumsvorsitzende der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. Zusammen mit ihren zahlreichen weiteren Mitgliedschaften in Kuratorien und Beiräten dürfte der Wahl-Ulmerin auch in den kommenden Jahren nicht langweilig werden.