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Fehrs: “Wir werden eine kleinere und ärmere Kirche”

Der Trend zum Mitgliederschwund in der evangelischen Kirche war auch 2023 ungebremst. Das hat jetzt auch Auswirkungen auf die Einnahmen aus der Kirchensteuer.

Ein Gottesdienst mit Abstand. Nicht nur während Corona an der Tagesordnung
Ein Gottesdienst mit Abstand. Nicht nur während Corona an der Tagesordnungepd-Bild / Rolf Zöllner

Die evangelische Kirche hat im vergangenen Jahr einen deutlichen Rückgang bei den Kirchenmitgliedern und Kirchenfinanzen verzeichnet. Wie die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover mitteilte, gehörten ihr zum Stichtag 31. Dezember 2023 rund 18,6 Millionen Menschen an. Das entspricht einem Rückgang von etwa 593.000 und 3,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit erreichte der Mitgliederverlust einen Rekordwert.

Rund 21,9 Prozent der deutschen Bevölkerung sind den vorläufigen Zahlen zufolge noch Mitglied einer der 20 evangelischen Landeskirchen. 2022 waren es noch 22,7 Prozent gewesen. Auch die Einnahmen aus der Kirchensteuer sanken im Jahr 2023 um 5,3 Prozent auf gut 5,91 Milliarden Euro.

Kirchenaustritte und Sterbefälle als Gründe

Grund für den Mitgliederschwund sind Kirchenaustritte und Sterbefälle. Im zweiten Jahr infolge lag die Zahl der Kirchenaustritte über der der Sterbefälle. Die Zahl von 380.000 Kirchenaustritten veränderte sich nicht im Vergleich zum Vorjahr, die Zahl der Sterbefälle sank 2023 leicht um 25.000 auf 340.000 (2022: 365.000). Die Austrittsrate stieg erneut leicht auf 1,98 Prozent und erreicht dadurch ebenfalls einen Rekord.

Die Zahl der

Taufen

und Wiedereintritte konnten den Trend nicht stoppen: 140.000 Menschen wurden 2023 getauft, 20.000 Menschen traten in die evangelische Kirche ein. Nicht erfasst sind Zu- und Abwanderungen, so dass sich Unterschiede zu der Gesamtzahl des Mitgliederrückgangs ergeben.

Fehrs: Nächstenliebe bleibt Aufgabe der Kirche

Zu den Gründen für den Einnahmen-Rückgang bei der Kirchensteuer zählt zum einen die steuerliche Entlastung in der Einkommensteuer durch das Inflationsausgleichsgesetz von 2022, zum anderen wirkte sich auch der Mitgliederverlust im vergangenen Jahr erstmals deutlich auf die Kirchensteuereinnahmen aus. Im Jahr 2020 waren die Einnahmen durch die Konjunkturschwäche wegen der Corona-Pandemie leicht gesunken, doch gab es in den vergangenen Jahren stets die Besonderheit, dass die Einnahmen trotz Mitgliederverlusten Rekordwerte erreichten.

Die EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs
Die EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrsepd-bild / Hans Scherhaufer

„Wir werden eine kleinere und ärmere Kirche, dieser Tatsache müssen wir uns stellen“, sagte die amtierende EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs. Dennoch bleibe es auch mit weniger Mitgliedern die Aufgabe der Kirche, sich für Nächstenliebe, Menschlichkeit und die Weitergabe des christlichen Glaubens einzusetzen. Viele Menschen hätten nach wie vor hohe Erwartungen an die Kirchen, sagte die Hamburger Bischöfin.

Katholiken veröffentlichen Mitgliederzahlen im Sommer

„Noch sind die Auswirkungen der Mitgliederrückgänge auf die Finanzkraft der Kirchen nicht so stark“, sagte der Religionssoziologe Detlef Pollack dem Evangelischen Pressedienst (epd). Aber man sehe sie bereits. Die Kirchen sorgten vor, indem sie Gemeinden zusammenlegten und Gebäude abstießen. Das Vertrauen in kirchliche und diakonische Einrichtungen wie Pflegeheime und Kindergärten sei aber relativ hoch, deutlich höher als das Vertrauen in die Institution Kirche, sagte Pollack. Sinkende Kirchenmitgliederzahlen wirkten sich allerdings auf die Finanzierung von Einrichtungen in diesem Bereich aus.

Das sagen die Bischöfe aus Berlin und dem Rheinland

Der Berliner evangelische Bischof Christian Stäblein erklärte, die Gründe für einen Kirchenaustritt seien vielfältig. Die Bindung an Institutionen lasse generell in wachsendem Maße nach. Zudem müsse sich die Kirche der Verantwortung stellen, „dass wir auch durch unser eigenes Versagen Menschen sehr enttäuscht und verloren haben“. Dabei sind mögliche Effekte durch die Veröffentlichung der evangelischen Missbrauchsstudie Ende Januar, die Tausende Missbrauchsfälle und einen mangelhaften Umgang mit Opfern sexualisierter Gewalt offenbarte, noch nicht in den jetzt veröffentlichten Zahlen abgebildet.

Die Zahlen schmerzten, erklärte der leitende Theologe der rheinischen Kirche, Thorsten Latzel. Jeder Austritt sei einer zu viel, weil man den Kontakt zu den Menschen verliere und weil er die Gemeinschaft schwäche.

Aktuelle Mitgliederzahlen für die 27 katholischen Bistümer liegen noch nicht vor. Die Deutsche Bischofskonferenz veröffentlicht ihre Statistik im Sommer. Nicht eingerechnet sind zudem die evangelischen Freikirchen.