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EU-Kommission will Klimaziele mit mehr Flexibilität erreichen

Im Jahr 2040 sollen die Emissionen der EU um 90 Prozent gegenüber dem Wert von 1990 gesenkt sein – und das zugleich bei einer Stärkung des Wirtschaftsstandorts Europa. Der Vorschlag findet unterschiedliche Resonanz.

Die Europäische Kommission hat einen Vorschlag zur Verschärfung des EU-Klimaziels vorgelegt: Bis 2040 sollen die Netto-Treibhausgasemissionen um 90 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 gesenkt werden. Laut dem am Mittwoch in Brüssel vorgestellten Entwurf will die Kommission das mit mehr Flexibilität erreichen. Dazu gehört die Möglichkeit, Klima-Maßnahmen in außereuropäischen Staaten in die EU-Bilanz einzubeziehen, aber auch eine bereichsübergreifende Verrechnung von CO2-Einsparungen. Reaktionen aus Politik, Wirtschaft und Umweltverbänden fielen unterschiedlich aus.

Der Vorschlag der Brüsseler Behörde muss noch vom Europäischen Parlament sowie vom Rat der Europäischen Union gebilligt werden. Die derzeitige dänische Ratspräsidentschaft strebt eine Einigung bis September an. So könnte die EU ein überarbeitetes Klimaschutzversprechen für das Jahr 2035 einreichen. Dies wäre ein wichtiger Schritt vor der UN-Klimakonferenz COP30, die Mitte November in Brasilien tagt.

Der klimapolitische Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion, Peter Liese (CDU), begrüßte die in den Entwurf aufgenommenen “Flexibilitäten”. Damit erscheine “das extrem ambitionierte Ziel realistischer”. Der Industrie-Experte der EVP, Christian Ehler (CDU), verlangte jedoch weitere Erleichterungen bei der Wasserstoffproduktion, im europäischen Energiebinnenmarkt, der Technologieneutralität bei Bestimmungen für Autos und in der Bürokratie.

Die europäischen Sozialdemokraten warfen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor, die Nachschärfung bewusst verschleppt zu haben. Bis zur Klimakonferenz im brasilianischen Belém brauche die EU ein ehrgeiziges Klimaziel. Der jetzige Entwurf ermögliche, “die Bilanz aufzuhübschen”, sagte Tiemo Wölken, SPD-Sprecher im Umweltausschuss des EU-Parlaments. Finanzmittel, die für Investitionen in die Transformation der europäischen Wirtschaft und Gesellschaft gebraucht würden, könnten nach dem Vorschlag der Kommission in Projekte außerhalb der EU fließen; deren Erfolg sei aber zweifelhaft.

Ähnlich kritisch äußerten sich die Grünen im Europaparlament. Der Co-Vorsitzende Bas Eickhout sprach von einem “gefährlichen Spiel”. Statt zig Milliarden Euro für “Papierkram” von Zertifikaten auszugeben, sollte in eine grünere europäische Industrie investiert werden, so der niederländische Abgeordnete. Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen, warnte vor “Rechentricks und Etikettenschwindel”. Die internationalen Gutschriften, mit denen Unternehmen und Institutionen in der EU sich von Einsparungsverpflichtungen freikaufen können, entsprächen den Emissionen von Schweden, Finnland und Dänemark zusammen. Es sei ein “fragwürdiges Instrument”, so Bloss.

Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) begrüßte den Kommissionsvorschlag, internationale Klimaschutzmaßnahmen auf das europäische Klimaziel anzurechnen. Dies könne “Kosten sparen und europäische Unternehmen wieder konkurrenzfähiger machen”, sagte VCI-Geschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Erfolgreiche Klimapolitik gelinge nur mit einem mit einem “Comeback des Industriestandorts” Europa.

Die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch bezeichnete den Handel mit internationalen Zertifikaten als ein “risikobehaftetes Geschäft für den Klimaschutz und für die Glaubwürdigkeit der EU-Klimapolitik”. Es gelte sicherzustellen, dass Emissionsminderungsprojekte außerhalb der EU tatsächlich zu realen Einsparungen und zusätzlichem Klimaschutz führen. Deutschland, das sich dafür wesentlich eingesetzt habe, stehe hier in einer besonderen Verantwortung. Der EU-Entwurf insgesamt komme zu spät und bleibe hinter den Anforderungen des Pariser Klimaabkommens zurück, erklärte Germanwatch.