Im Rahmen der Gedenkveranstaltung „60 Jahre später: Versöhnung in Zeiten der Unruhe“ wurde Anfang Oktober in der Warschauer St. Trinitatiskirche ein Zeichen von großer Bedeutung gesetzt: Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) und die Evangelisch-Augsburgische Kirche in Polen (EAKP) haben eine Partnerschaftsvereinbarung unterzeichnet.
Anlass war der Jahrestag zweier Dokumente, die 1965 den Weg zur deutsch-polnischen Verständigung und Versöhnung ebneten. Am 1. Oktober 1965 veröffentlichte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) die „Ostdenkschrift“, ihr Titel: „Zur Lage der Vertriebenen und zum Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“. Sie veränderte den deutsch-polnischen Dialog maßgeblich. Sie bereitete den Boden für Verständigung und war wegweisend für die Reflexion über Versöhnung. Nur wenige Wochen später folgte die Botschaft der polnischen Bischöfe an die deutschen Bischöfe mit den berühmten Worten: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“
Kirchen in Polen und Deutschland: Weg der Versöhnung
Gerade an diesem symbolträchtigen Datum erhält die Unterzeichnung eine besondere Tiefe. Sie steht für die Fortführung eines Weges der Versöhnung. Heute verbindet uns eine lebendige Geschichte der Verantwortung füreinander, für unsere Nachbarschaft und für das gemeinsame europäische Haus.
Mit der neuen Vereinbarung wird die bereits bestehende Partnerschaft mit der Diözese Breslau auf die gesamte Evangelisch-Augsburgische Kirche in Polen ausgeweitet – ein starkes Zeichen kirchlicher Verbundenheit über Grenzen hinweg. Diese Partnerschaft ist ein sichtbarer Ausdruck des Vertrauens, das in vielen Begegnungen, gemeinsamen Gottesdiensten, Jugendaustauschen, Kontakten zur Diakonie und Gemeindepartnerschaften über Jahre gewachsen ist.
Seit den 60er Jahren enge Beziehungen zur Kirche in Polen
Die neue Partnerschaft knüpft an eine lange Geschichte der kirchlichen Zusammenarbeit an. Bereits in den 60er Jahren entstand in der damaligen Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg der „Arbeitskreis Polen“, der Begegnungen und Austausch organisierte. Auch die Evangelische Kirche der schlesischen Oberlausitz pflegte enge Beziehungen zur Kirche in Polen.
1991 trafen sich Christinnen und Christen aus Polen, der schlesischen Oberlausitz und Tschechien in Görlitz zu den ersten Christlichen Begegnungstagen – einem Fest des Glaubens, das bis heute fortgeführt wird. 1997 wurde die Partnerschaft mit der Diözese Breslau offiziell begründet. Mit der Fusion der beiden Kirchen zur EKBO gingen diese Beziehungen in die neue Landeskirche über und wurden weiter gepflegt.
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Ein besonders eindrückliches Zeichen dieser lebendigen Gemeinschaft war die gemeinsame Vorbereitung und das Erleben der Christlichen Begegnungstage im Juni vergangenen Jahres in Frankfurt (Oder) und Słubice. Unter dem Motto „Nichts kann uns trennen“ beteten, diskutierten und feierten Christinnen und Christen aus Polen und Deutschland und aus Mittel- und Osteuropa miteinander – ein erlebtes Zeugnis dafür, dass Glaube Grenzen überwindet.
Gerade in einer Zeit, in der Krieg, Unsicherheit und politische Spannungen das europäische Miteinander erschüttern, sendet die neue Vereinbarung eine klare Botschaft aus: Wir halten zusammen. Angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine verstehen sich beide Kirchen als Brückenbauer und Friedensstifter.
Zusammen in der Mitte Europas
Sie wollen gemeinsam einstehen für Solidarität mit den Angegriffenen, für Dialog statt Spaltung, für Hoffnung inmitten der Verunsicherung. In diesen herausfordernden Zeiten wollen und müssen wir zusammenhalten, denn wir sind Nachbarn und leben gemeinsam in einer Region. Wir leben gemeinsam in der Mitte Europas und tragen als Christen und Christinnen eine gemeinsame Verantwortung in versöhnter Vielfalt und ökumenischer Verbundenheit.
Aus der Erinnerung an die Vergangenheit erwächst die Verpflichtung, gemeinsam für Frieden und Verständigung einzutreten. So wird die heutige Unterzeichnung zu einem Zeichen der Hoffnung – für die Kirchen, für Europa und für alle, die an eine Zukunft des Miteinanders glauben. Diese Partnerschaft trägt die Botschaft weiter, die vor 60 Jahren begann. In einer Zeit, in der Mauern und Grenzen wieder sichtbar werden, bekennen beide Kirchen: Versöhnung bleibt möglich. Sie geschieht dort, wo Menschen einander begegnen, wo Vertrauen wächst und wo der Glaube stärker ist als Hass und Angst.
Vladimir Kmec ist Pfarrer für Grenzüberschreitende Ökumene/Osteuropa-Referent der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO).
