Artikel teilen:

Eine Sechs für gendernde Schüler:innen?

Das von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) angekündigte Gender-Verbot sorgt für Empörung an Schulen und in Jugendverbänden. „Wenn die Kinder aber nun gendersensibel sprechen oder schreiben – sollen wir denen einen Sechser geben?“, fragte die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), Simone Fleischmann, am Mittwoch auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd). Sie sei für eine gendersensible Sprache und für einen sensiblen Umgang mit dem Thema: „Wir wollen keine Gebote, Verbote oder enge Richtlinien an Schulen.“

Die Lehrkräfte seien kompetent genug, sich selbst mit dem Thema auseinanderzusetzen, sagte Fleischmann. Es sei nicht machbar – auch nicht für einen Ministerpräsidenten per Richtlinienkompetenz -, eine gesellschaftliche Veränderung aufzuhalten. Die Schülerinnen und Schüler bekämen mit, dass gendersensible Sprache gerade ein Riesenthema sei in der Gesellschaft. Es sei Aufgabe von Schulen, die jungen Menschen auf so etwas vorzubereiten. Der BLLV wolle nun abwarten, bis ein entsprechendes Schreiben vom Kultusministerium zum geplanten Gender-Verbot komme.

Söder hatte am Dienstag in seiner Regierungserklärung vor dem bayerischen Landtag gesagt: „Mit uns wird es kein verpflichtendes Gendern geben, im Gegenteil: Wir werden das Gendern in Schulen und Verwaltung sogar untersagen.“ Außerdem sagte er: „Haben wir denn keine anderen Probleme in Deutschland, als dass wir uns damit beschäftigen müssen?“

Auch der Bayerische Philologenverband (bpv) sprach sich am Mittwoch gegen ein Gender-Verbot aus. Dieses wäre nicht zielführend, da dadurch eher eine Polarisierung in der Schulgemeinschaft drohe, warnte der bpv-Vorsitzende Michael Schwägerl. In bayerischen Schulen müsse sorgfältig mit der deutschen Sprache umgegangen werden. „Das bedeutet, dass man offen für neue Formen ist, die zum Beispiel Frauen und Männer gleich behandeln.“ Solche neuen Formen dürften aber nicht vorschnell eingeführt werden, warnte Schwägerl.

Sprache ändere sich immer wieder und es sei wichtig, diese Veränderungen zu verstehen und kritisch zu betrachten dsq. Schwägerl gab auch zu bedenken, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund und mangelnden Deutschkenntnissen eine klare Orientierung bräuchten: „Wer noch mit den drei grammatischen Geschlechtern und den richtigen Artikeln der deutschen Sprache kämpft, braucht keine zusätzlichen Schwierigkeiten.“

Auch bei der Vorstellung der ersten queeren Jugendstudie Bayerns am Mittwoch in München sorgte Söders Vorstoß für Diskussionen. Es sei sehr schädlich, wenn queere Jugendliche sprachlich nicht inkludiert würden, sagten Lukas Hollering und Kora Hackl vom Vorstand des Jugendnetzwerks Lambda Bayern. Gerade an Schulen gebe es viel Diskriminierung, in der Studie werden sie als Diskriminierungsort Nummer Eins aufgeführt. Söders Aussagen zeigten, wie wenig er und die CSU Inklusion mitdenken würden, betonten Hollering und Hackl.

Das Jugendnetzwerk Lambda Bayern e. V. ist der Dachverband der LSBTIQA-Jugendgruppen in Bayern. LSBTIQA steht für: lesbisch, schwul, bisexuell, transgender/transsexuell, intersexuell, queer und asexuell. Die erste queere Jugendstudie Bayern hatte der Bayerische Jugendring (BJR) im Forschungsprojekt „How are you?“ („Wie geht’s dir?“) zusammen mit dem Institut für Diversity- & Antidiskriminierungsforschung (IDA) und der Hochschule Fresenius erstellt. Dazu wurden mehr als 2.000 queere Menschen zwischen 14 und 27 Jahren zu ihrer Lebenssituation befragt.

Auch der Präsident des Bayerischen Jugendrings (BJR), Philipp Seitz, übte Kritik an Söder und seinem angekündigten Gender-Verbot. Die bewusste Verwendung von Sprache sei sehr wichtig, weil durch Sprache die gesellschaftliche Vielfalt zum Ausdruck gebracht werde. „Für uns ist klar: Wir werden weiterhin gendern.“ Dominic Frohn, Wissenschaftlicher Leiter am Institut für Diversity- & Antidiskriminierungsforschung, sagte, dass er die Diskussion ums Gendern nicht verstehe. Denn durchs Gendern werde niemandem etwas weggenommen.

Laut der Studie ist die große Mehrheit der queeren jungen Menschen in Bayern schon mal wegen ihrer Geschlechtsidentität diskriminiert worden. Etwa neun von zehn Befragten hätten angegeben, mindestens einmal Diskriminierung erlebt zu haben. Mehr als die Hälfte seien an Schule und in der Öffentlichkeit diskriminiert worden, rund ein Viertel in Gesundheitseinrichtungen oder in religiös-spirituellen Gruppen, 18 Prozent bei der Arbeit und zwölf Prozent bei Polizei, Justiz und Behörden. (01/3993/06.12.2023)