Drei Jahre lang unterstützte das Land Hessen verfolgte Künstlerinnen und Künstler mit Stipendien. Jetzt läuft das Programm „Hafen der Zuflucht“ aus. Michael Novian vom Vorstand des Gießener Vereins „Gefangenes Wort“, der das Projekt betreute, sagt: „Wir sehen es als Experiment, das zu Ende gegangen ist.“
Schneller als vorgesehen ging es im Juli 2022 los: Vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges zog als erste Stipendiatin die ukrainische Lyrikerin Victoria Feshchuk ins Dichterhaus der Stiftung Brückner-Kühner in Kassel. Bis zum Programmende im August dieses Jahres wird der „Hafen der Zuflucht“ insgesamt fünf aufgrund ihrer Arbeit verfolgte Künstler unterstützt haben. Fünf Menschen – ist das viel oder wenig?
Das Land habe den Verein „Gefangenes Wort“ seit 2022 mit 515.000 Euro für die Umsetzung des Programms gefördert, teilte ein Sprecher des hessischen Wissenschaftsministers Timon Gremmels (SPD) dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit. „Trotz dieser erheblichen finanziellen Mittel konnten in den vergangenen Jahren lediglich fünf Stipendiatinnen und Stipendiaten gefördert werden – weit unter der Zielsetzung des ursprünglichen Konzepts von 20 Stipendien pro Jahr.“ Insbesondere stünden die hohen Verwaltungskosten von über 50 Prozent der Gesamtsumme „in keinem angemessenen Verhältnis zur eingesetzten Förderung“.
Novian sagt: „Die Zahl 20 hat uns überrascht.“ Sie sei im Vorfeld nicht kommuniziert worden und sei auch „illusorisch“. Selbst die ganz großen Initiativen – etwa die Schriftstellervereinigung PEN – schafften es nicht, so hohe Zahlen zu erreichen. Die vom Verein „Gefangenes Wort“ betreuten Stipendiaten seien sehr unterschiedlich gewesen: Einige brauchten weniger Betreuung, andere erforderten einen hohen Aufwand.
„Hafen der Zuflucht“ startete unter der schwarz-grünen Landesregierung. Die damalige Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne) begrüßte die zweite Stipendiatin, die Iranerin Sahar Ajdamsani, Anfang 2023 öffentlich in Gießen. Ajdamsani lebt nach Auskunft von Novian noch in Gießen, ihr Stipendium lief ein Jahr, das von Victoria Feshchuk zwei Jahre. Aktuell werden noch der russische Literat Sergei Davydov sowie das kurdische Journalisten-Paar Nedim Türfent und Özgür Sevinc Simsek unterstützt.
Novian betont, dass er keine Konfrontation mit dem Ministerium suche. „Wir sind stolz auf das, was wir erreicht haben.“ Doch es gebe ein „Grundproblem“: die Vielzahl an bedrohten Künstlern einerseits – und die begrenzten Fördermöglichkeiten andererseits. Auch die kurze Förderdauer sei problematisch. Kaum seien die Stipendiaten angekommen, stelle sich die Frage, wie es danach weitergehen soll.
Viele Künstler hangelten sich von Stipendium zu Stipendium, die wenigsten seien so erfolgreich, dass sie von ihrer Kunst leben können. Es brauche deshalb einen „breiten Integrationsansatz“, der ihnen künstlerischen Freiraum verschaffe, jedoch auch die Integration in die Gesellschaft ermögliche.
Sie hätten das Programm unter dem „Hafen-Aspekt“ gesehen, erklärt Novian: als eine Durchgangsstation, die Menschen für eine begrenzte Zeit große Sicherheit bringe. Es sei um diejenigen gegangen, die nicht im Rampenlicht stehen.
Der kleine Verein mit 60 Mitgliedern, dessen Anfänge auf ein Germanistik-Seminar an der Uni Gießen zurückgehen, will sich künftig wieder stärker im Lokalen für verfolgte Künstler einsetzen, zum Beispiel mit Veranstaltungen, Lesungen und Bücherflohmärkten.